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Alles auf Schiene: TU Graz als Hochburg für Eisenbahnforschung

Ob Leichtbauzüge, nachhaltige Gleise oder Autoreisezüge zum Aufladen von E-Autos: An der Technischen Universität in Graz wird an verschiedenen Bereichen an der Weiterentwicklung des Eisenbahnverkehrs geforscht.

Riesige Gleisbaumaschinen sollen künftig ohne fossile Brennstoffe und umweltschonend betrieben werden.
Riesige Gleisbaumaschinen sollen künftig ohne fossile Brennstoffe und umweltschonend betrieben werden.

Bis dato galt Graz dank seiner umfassenden Zuliefererstruktur ja als Automotive-Hauptstadt Österreichs. Allen voran Magna Steyr, dessen Zentrale und gleichzeitig auch größter Produktionsstandort in der zweitgrößten Stadt des Landes angesiedelt ist, brachte Graz wiederholt internationales Renommee.

Forschung: Auch im Eisenbahnsektor hat Graz die Nase vorn

Doch nicht nur beim Individualverkehr, auch im Eisenbahnsektor hat Graz im Forschungsbereich die Nase vorn. "Research Cluster Railway Systems" heißt der Forschungsverbund, der Mitte 2021 an der TU Graz mit dem Ziel gestartet wurde, die Betreiber der Bahn, Vertreter der Industrie sowie Forschungsunternehmen zu vernetzen. Der Bedarf dafür ist enorm: Angesichts der geplanten Verdoppelung des Personen- und Güterverkehrs in Österreich bis zum Jahr 2040 sind die Anforderungen an die Schiene enorm.

Gesamtsystem Eisenbahn als Mobilitätsform im Zentrum des (Forschungs-)Interesses

Bereits seit den 1960er-Jahren steht am Institut für Eisenbahnwesen und Verkehrswissenschaft das Gesamtsystem Eisenbahn als Mobilitätsform im Zentrum des (Forschungs-)Interesses. Unter der Leitung des Institutsvorstands Peter Veit wird intensiv an der wirtschaftlichen und ökologischen Nachhaltigkeit neuer Bahnlinien und bestehender Strecken als Teil einer nachhaltigen Mobilitätskette geforscht.

Im Fokus der Forschung stehen neben den hochbelasteten Hauptverkehrsverbindungen dabei auch Regionalbahnen, mit denen, so die Forscherinnen und Forscher, Österreich immer noch verhältnismäßig gut erschlossen ist. Der Nachteil: Diese Verbindungen zwischen Wohnort und Hauptverkehrsstrecken lassen sich in den seltensten Fällen kostendeckend betreiben. "Es geht heute nicht mehr darum, von einem Verkehrsträger - wie dem Auto - vollständig auf einen anderen - wie die Bahn - zu wechseln", erklärt der stellvertretende Institutsleiter Stefan Marschnig. "Die junge Generation denkt hier um. Es ist nicht mehr wichtig, mit welchem Fahrzeug sie von A nach B kommt. Hauptsache, es funktioniert einfach und schnell."

"Auf den Wohlfühlfaktor achten."
Matthias Landgraf
TU Graz

So sei heute und in Zukunft vor allem wichtig, dass Bahnhöfe zu Mobilitätsknotenpunkten werden, die mit Fahrradparkplätzen, E-Auto-Lademöglichkeiten und/oder einer guten Busverbindung sowie im besten Fall einer Carsharing-Station ausgestattet sind. "Das Umsteigen muss einfach und reibungslos funktionieren und es muss durchgängige Tickets geben", erklärt Matthias Landgraf, Forscher am Institut, die Anforderungen der Zukunft. "Darüber hinaus müssen wir vor allem auf Sicherheit und den Wohlfühlfaktor achten, um Menschen für die Bahn zu begeistern."

Energieeffizienten Wartung des Bahnnetzes wird erforscht

Neben Bewertungen und Berechnungen von Bahnstrecken beschäftigt sich das Institut auch mit der energieeffizienten Wartung des Bahnnetzes. Unter dem Titel "Fossil-free Track Work" untersucht man, wie die Antriebe schwerer Gleisbaumaschinen, mit denen Schienen und Gleiskörper gewartet und erneuert werden, zukünftig umweltschonend und ohne fossile Energieträger betrieben werden könnten. Die Bau- und Instandhaltungsmaschinen für Bahnnetze sind ein eigenes Kaliber: So kann eine Gleisbaumaschine mehrere Hundert Meter lang sein, kontinuierlich arbeiten und dabei simultan mehrere Arbeitsschritte durchführen - beispielsweise den Gleisunterbau erneuern. Und zwar dieselbetrieben.

Solche hoch spezialisierten Baumaschinen sind in Betrieb und Wartung sehr ressourcenintensiv und gleichzeitig - wie alles im Eisenbahnwesen - auf eine lange Lebensdauer ausgelegt. "Hier kann man nicht ad hoc mit einer Innovation dazwischengrätschen. Umso wichtiger ist es, die bestehenden Fahrzeuge möglichst effizient und ressourcenschonend einzusetzen, solange wir keine alternativ angetriebenen Baufahrzeuge haben. Dieselfressende Gleisbaufahrzeuge unkoordiniert durch das Land zu schicken schlägt in mehrfacher Hinsicht teuer zu Buche und passt schlecht in das Gesamtbild der umweltfreundlichen Eisenbahn", sagt Matthias Landgraf.

Auch das Thema Leichtbau ist im Bahnsektor ein wichtiges Zukunftsfeld.

"Auch wenn die Eisenbahn klassischerweise nicht als Erstes mit dem Thema in Verbindung gebracht wird", so Peter Brunnhofer. Am Institut für Betriebsfestigkeit und Schienenfahrzeugtechnik leitet er die sogenannte Schwingprüfhalle. Dort werden Zugkomponenten und ganze Fahrgestelle auf ihre Belastbarkeit und Langlebigkeit geprüft. "Natürlich ist bei uns immer noch der Stahl im Zentrum - Karbon und andere Leichtbaumaterialien sind für sicherheitskritische Bauteile vergleichsweise weniger geeignet, um die 30 bis 40 Jahre im harten täglichen Betrieb durchzustehen, die eine Zuggarnitur im Betrieb ist", so Brunnhofer. Trotzdem sei es zentral, die Fahrwerke immer leichter zu bauen. Denn: Je weniger Gewicht das Fahrzeug selbst hat, desto weniger belastet es die Bahninfrastruktur und desto mehr kann gleichzeitig an Ladegut transportiert werden.

"Neben dem Leichtbau ist es vor allem wichtig, die Überwachung der Bauteile zu automatisieren und dadurch auch Wartungsintervalle zu optimieren", erklärt Institutsleiter Martin Leitner. So wurde etwa im Rahmen der langjährigen Kooperation mit dem Industrieunternehmen Siemens Mobility eine besonders leichte Radsatzwelle konzipiert, die ein Überwachungssystem integriert hat. Im Inneren der Radsatzwelle herrscht Überdruck - entsteht ein Riss, fällt der Druck durch den Luftaustritt ab und das System schlägt Alarm. "Ein Anriss selbst muss unmittelbar noch nicht versagenskritisch sein, ist aber zu überwachen, um nötigenfalls sofort oder im Rahmen einer Routinewartung behoben werden zu können", so Leitner. "Ziel ist es, von vorgegebenen Wartungsintervallen hin zu anlassbezogenen Reparaturen bzw. gezielten Wartungsplanungen zu kommen."

E-Autos auf Autoreisezüge mit Strom aus der Oberleitung aufladen

Sogar eine besonders innovative Lösung für die Reichweitenproblematik von Elektroautos sowie die steigende Belastung des Stromnetzes durch den zunehmenden Ladebedarf hält die Eisenbahnforschung bereit: So könnten Elektroautos auf Autoreisezügen während der Zugfahrt mit Strom aus der Oberleitung aufgeladen werden. Nach der Ankunft am Zielbahnhof könnte man mit vollem Akku weiterfahren. Dadurch würde man sich lange Autofahrten mit mehreren Ladepausen ersparen, energieeffizienter reisen und einen kleiner dimensionierten Akku benötigen. Das würde sowohl bei der Preisgestaltung der Fahrzeuge als auch mit Blick auf die Umwelt wesentliche Verbesserungen bringen. Wenn das Stromnetz der Bahn oder auch die Bremsenergie eines Zuges für das Laden der E-Autos genutzt wird, bringt das außerdem eine Entlastung für das öffentliche Stromnetz, das durch den Ausbau von volatilen Quellen derzeit jede Entlastung gebrauchen kann. Derzeit evaluiert das Projektteam gemeinsam mit dem Verkehrsplanungsunternehmen verkehrplus, für welche Anwendungsfälle RailCharge auch wirklich Sinn ergibt. So dürfte es aufgrund der Anfahrt zum Bahnhof sowie Verlade- und Abladezeit mit aktuellen Möglichkeiten noch wenig Interesse daran geben, eine 45-minütige Pendlerstrecke durch einen Zug mit Ladefunktion zu ersetzen. Bei Urlaubsreisezügen, allgemein längeren Strecken ab etwa drei Stunden Fahrzeit oder einer Werksbahn dürfte aber auch jetzt schon einiges an Potenzial vorhanden sein.

Forschungsprojekte rund um die Bahn

Im Forschungsverbund "Research Cluster Railway Systems" kooperieren bahnrelevante Institute an der TU Graz, Bahnbetreiber und Industrie sowie Forschungsunternehmen. Mit dabei sind u. a. die Voestalpine, die ÖBB, Siemens Mobility Austria und Virtual Vehicle.

Im Mittelpunkt stehen dabei die Themen Schienenfahrzeugtechnik, Bahninfrastruktur und Bahnbetrieb. Effizientere Züge, ressourcenschonende Schienen-Neubauten mithilfe der Digitalisierung und virtueller Zwillinge sowie die Verringerung des Kohlendioxidausstoßes sind dabei die Hauptziele.