Auf der diesjährigen IAA Mobility in München präsentierte Mercedes-Benz das neue Konzeptfahrzeug CLA Class. Wenige Stunden nach der Weltpremiere stand Konzernchef Ola Källenius den SN Rede und Antwort.
Mercedes-Benz CEO Ola Källenius: Premium-Perspektive
Der CEO der Mercedes-Benz Group im Interview. Ola Källenius über Klimaneutralität, stagnierende E-Auto-Verkäufe, China und autonomes Fahren.

"Man muss unterscheiden zwischen Strategie und taktischer Flexibilität."
Herr Källenius, man bekommt den Eindruck, die deutsche Autoindustrie befindet sich gegenüber den chinesischen Herstellern aktuell in der Defensive. Wohin geht die Reise von Mercedes? Ola Källenius: Das Ziel unserer Reise ist ganz klar die Klimaneutralität. Es besteht also überhaupt kein Zweifel, in welche Richtung wir uns bewegen. Spätestens bis 2039 wollen wir die gesamte Wertschöpfungskette CO₂-neutral machen - die Zulieferer, die Prozesse, die Produktion sowie die Nutzung unserer Fahrzeuge. Um unsere Ziele zu erreichen, investieren wir zweistellige Milliardenbeträge in neue Produkte. Dieser Transformationsprozess fühlt sich ein wenig so an, als würde man unzählige 100-Meter-Sprints hintereinander laufen, aber über die Distanz eines kompletten Marathons. Man darf daher nicht in allen Bereichen und auf allen Märkten einen linearen Fortschritt erwarten. Zudem muss man unterscheiden zwischen unserer klaren, langfristigen Strategie und taktischer Flexibilität. Inmitten dieser gewaltigen technischen und industriellen Transformation und unzähliger neuer Mitbewerber müssen wir uns vorrangig darauf konzentrieren, was unsere eigenen Kunden von uns erwarten: nämlich diesen perfekten Mix aus innovativer Technik, zeitlosem Design, unverwechselbarem Fahrgefühl und einer 75-jährigen Historie darin, unsere Autos immer sicherer zu machen.
Wird die E-Mobilität ohne steuerliche Begünstigungen überleben können? Absolut. Ich bin fundamental davon überzeugt, dass sich der Markt unaufhaltsam in Richtung Elektroautos bewegen wird. Sehen Sie sich die technischen Werte unseres jüngsten Konzeptfahrzeugs CLA Class an: mehr als 750 Kilometer Reichweite und ein durchschnittlicher Verbrauch von 12 kWh auf 100 Kilometer. Mir fällt kein Mitbewerber ein, der das bieten kann - vor allem nicht mit den anderen Mercedes-typischen Qualitäten. Wir können heute bereits 400 Kilometer Reichweite in 15 Minuten nachladen und zeitgleich entwickelt sich die Ladeinfrastruktur rasant weiter. Die Hürden in Richtung E-Mobilität werden immer niedriger. Immer öfter ist es nur noch die Angst vor dem Neuen, die gegen ein E-Auto spricht. Ich selbst fahre nun schon seit Jahren ausschließlich elektrisch. Vor Kurzem bin ich einmal wieder einen Verbrenner gefahren - und konnte mich tatsächlich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal an einer Tankstelle gewesen war. Wenn man einmal elektrisch fährt, ist es meiner Meinung nach sehr unwahrscheinlich, dass man wieder zum Verbrenner zurückkehrt.
Erwarten Sie, dass in Zukunft vermehrt Unternehmen aus der Digitalbranche wie Google zu Mitbewerbern werden? Das ist schwierig vorauszusehen. Zumindest in der westlichen Welt hat es in letzter Zeit kein Unternehmen gegeben, das den Einstieg in die Autobranche angekündigt hat. In China gibt es da schon eine größere Dynamik, etwa mit Xiaomi, die für kommendes Jahr ein Auto angekündigt haben. Ganz offensichtlich ist die enge Zusammenarbeit von Autoherstellern und Technologieunternehmen auf allen wichtigen Märkten.
Welche Vorteile bietet die Kooperation mit dem Hersteller Geely angesichts der rasanten Offensive aus China? Mercedes ist schon so lange in China präsent, dass wir vor Ort annähernd so gut vernetzt sind wie ein chinesischer Hersteller. Wir haben dort eigene Fabriken, Entwicklungszentren und Geschäfte. China ist für uns ein wenig wie eine zweite Heimat. Aber es ist ein extrem innovativer Markt mit rasanten Entwicklungen. Die Geschwindigkeit ist in allen Aspekten respekteinflößend. Und trotzdem haben wir in unseren Modellen Technologien, die es nirgendwo sonst gibt. Das macht einen Mercedes aus.
Sind E-Fuels für Mercedes ein Thema? Auf dem Weg zur Dekarbonisierung für alle Wirtschaftsbereiche werden alle Technologien gebraucht. Doch die Elektromobilität ist bereits da. Als Alternative zu fossilen Energieträgern wird Wasserstoff die logische Konsequenz sein. Es wird Anwendungsbereiche für Brennstoffzellen und Wasserstoff im Schwerverkehr geben. Kohlenstoffreduzierte Treibstoffe - bis hin zu CO₂-neutralen Formen - werden für die Flugindustrie und die Schifffahrt enorm wichtig werden. Das und die Tatsache, dass der Wirkungsgrad von E-Fuels bei Pkw bei vielleicht zehn oder zwölf Prozent liegt, sprechen aktuell klar für Elektroautos. Dazu kommt, dass ich bis dato noch keine Versuche gesehen habe, Kohlendioxid auf industrieller Ebene aus der Atmosphäre zu gewinnen. Denn wenn E-Fuels wirklich nachhaltig sein sollen, muss man Millionen und Abermillionen von CO₂ aus der Luft gewinnen. Und das ist eine keineswegs triviale und vor allem extrem teure Herausforderung. Ich denke, dass es mindestens bis Mitte der 2030er-Jahre dauern wird, bis wir so weit sind.
Um das Thema autonomes Fahren ist es aktuell ein wenig ruhiger geworden. Als erster Hersteller hat Mercedes kürzlich die ersten kleinen Schritte in Richtung autonomes Fahren auf Level 3 gemacht. In einem EQS oder einer S-Klasse kann man unter bestimmten Voraussetzungen auf einen Knopf drücken, dann übernimmt das Auto und man kann währenddessen beispielsweise aufs Handy schauen - auf öffentlichen Straßen! Das ist ein Riesenschritt, in allen Aspekten, vergleichbar mit der Mondlandung. Nun, da wir am Mond sind, überlegen wir gerade, ob und wie wir eine Mondstation bauen. Aktuell testen wir autonomes Fahren auf Level 4. Konkret würde das heißen: Sie fahren mit Ihrem Mercedes zum Flughafen, steigen aus und das Auto sucht sich selbstständig einen Parkplatz. Fahrassistenten gehören schon jetzt zu den beliebtesten Sonderausstattungen. Und was jetzt für eine Premiummarke wie Mercedes gilt, wird in einigen Jahren für alle Hersteller gelten. Wir rechnen deshalb für die Zukunft fest mit dem assistierten autonomen Fahren.