Falten, knicken, drehen und wieder falten: In Dutzenden Einzelschritten entstehen aus Papier die erstaunlichsten Dinge. Die Klassiker in unseren Breiten sind Papierflieger, Malerhut und Schiff, das beherrschen kleine Kinder schon früh. Das, was wir heute unter Origami verstehen, also Falten - sowohl "das" als auch "die" -, begleitet die Menschheit schon seit Urzeiten. Unsere Urahnen begriffen recht bald, dass ein Baby kunstvoll im Mutterleib zusammengefaltet sein muss, weil es sonst keinen Platz hätte. Auch die Blätter wundervollster Blüten sind in der Knospe eng beisammen, um sich schließlich zu "entfalten". Sogar auf den Innenseiten jeder Hand sind Falten, ohne sie ließe sie sich nicht öffnen oder schließen.
Überlieferte Faltfiguren
"In allen Kulturen gibt es traditionelle Faltfiguren, die immer weitergegeben werden. Das was bei uns der Hut oder das Schiff sind, ist beispielsweise in Spanien ,Pajarita de papel' - der Vogel, oft wird er als deren Origami-Symbol verwendet", sagt Julia Schönhuber. Seit etwa 20 Jahren beschäftigt sich die gebürtige Innviertlerin mit der Faltkunst. "Die Begeisterung nimmt kein Ende, weil es so viele Sachen gibt. Origami ist eine Entdeckungsreise, bei der man kreativ und spielerisch experimentieren kann."

Alles entsteht immer nur aus so bezeichneten Berg- und Talfalten, jeweils gleichzeitig, egal wie komplex die Figur am Ende ist. "Wichtig ist immer das Umdrehen, das Wenden in die richtige Richtung, damit die ins Auge gefasste Figur funktioniert. Aber es gibt auch keine Fehler, denn es entsteht dann halt etwas anderes", sagt die Künstlerin. Zu den Grundformen Quadrat oder zusammengeschobenes Quadrat, aus denen verschiedene Modelle oder auch ein Dreieck werden können, gehören auch Blintzformen, wie bei "Himmel und Hölle", wo alle vier Ecken immer zur Mitte gefaltet werden, oder Windmühlen und Vogel-Grundformen. "Einzig das Schiff entsteht nicht aus einer Grundform, das hat eine spezielle Faltform, die sonst nirgendwo vorkommt." Nötig sind dafür weder Kunstfertigkeit noch ein Übermaß an Durchhaltevermögen, denn das Falten und Entdecken vieler neuer Formen verschafft reichlich Glücksmomente, die Belohnung entsteht schon während der Tätigkeit. "Man darf sich nur nicht überfordern und muss anfangs mit kleineren Dingen beginnen", erklärt die gelernte Grafikdesignerin und Kreativtrainerin, die aktuell in der Sozialarbeit tätig ist.
Eigene Origami-Papiere entwickelt
Origami braucht Neugier und die Bereitschaft, etwas lernen zu wollen. Wer diese Kunst betreibt, auf den wirkt die Tätigkeit ganzheitlich. "Man entwickelt Aggressionen, wenn es nicht wie geplant funktioniert. Aber es wirkt auch entspannend, weil man sich konzentriert, es ist beruhigend oder meditativ, vor allem bei einfachen, sich ständig wiederholenden Abläufen, auf die man sich aber konzentrieren muss", betont die Mal- und Gestaltungstherapeutin. Als offiziell anerkannte Therapieform ist das in Österreich aber noch nicht möglich.

Weil sie mit den angebotenen Origami-Papieren lange unzufrieden war, hat sie begonnen, selbst welche zu entwerfen und drucken zu lassen. Diese kommen vor allem für dekorative Objekte bei ihr zum Einsatz. "Aber ein Papierhut lässt sich ganz wunderbar aus einer Zeitung falten." Als zweites Standbein leitet Schönhuber Origami-Workshops, beispielsweise in den Bewohnerservice-Stellen der Stadt Salzburg. "Bei Origami geht es darum, aus einem quadratischen Stück Papier durch Falten einen dreidimensionalen Gegenstand herzustellen, und das ohne Schere und Klebstoff. Das Faltvergnügen fördert Konzentration, Gedächtnis, Feinmotorik, räumliches Vorstellungsvermögen, Genauigkeit und Geduld", zählt sie eine Reihe von Vorteilen auf. Die Stadt Salzburg hat Origami deshalb auch in das Programm der "Demenzfreundlichen Stadt" aufgenommen. Besonders in der Demenzprävention kann Origami enorme Wirksamkeit entfalten, im wahrsten Sinn des Wortes.
Faltkunst in Airbags und im Weltraum
Nicht nur im Freizeit-, Kreativ-, Dekorations- und Gesundheitssektor ist die Faltkunst gefragt, sie kommt auch in der modernen Technik zum Einsatz. Ein Airbag beispielsweise kann nicht einfach in ein Behältnis gestopft werden, denn er muss sich im Ernstfall sehr kontrolliert öffnen und dazu muss er zuvor sehr kontrolliert zusammengefaltet werden. Oder Weltraumsegel, die in ihrer endgültigen Größe kaum in einer Satellitenkapsel Platz haben. Erst an ihrem Bestimmungsort im Weltraum müssen sie beim Öffnen sehr exakt ihre ursprünglich geplante Form einnehmen.
Origami ist mindestens so alt wie Papier und hat sich schon vor Jahrhunderten in Japan entwickelt. Vor allem in Klöstern entstand eine ausgeprägte Faltkultur, besonders zu religiösen Zwecken. Auch in Seniorenheimen wurde sie praktiziert, weil die Bedeutung für die geistige Fitness der Bewohner und Bewohnerinnen erkannt wurde.
Dokumentiert ist die Geschichte der Faltkunst bereits im alten Ägypten, wie sich an den lebhaften Wandbildern und Hieroglyphen in den Königsgräbern ablesen lässt. In Europa gelangte sie mit der höfischen Kultur zur Hochblüte. Sichtbar bei den Gemälden alter Meister mit den zierlichen Falten der Halskrausen und sonstigen Kleidungsstücken. Besonders in Österreich hatte das Falten lange Tradition, deren kunstvollste Ausprägungen sich vor allem in der Donaumonarchie zeigten. Bei Festbanketten wurden höchst aufwendige Dekorationen - sogenannte Schaugerichte - aufgestellt. Für den Kaiser wurden überhaupt ganz spezielle Servietten gefaltet. "Natürlich wollte jeder, der es sich leisten konnte, ein wenig so sein wie der Monarch, deshalb hat man daraus eine Kunst gemacht." Erhalten sind derartige Stücke nicht, denn nach Gebrauch wurden sie gewaschen und gebügelt, die ganze Pracht war somit weg. Dafür wurden die Techniken und Entwürfe in Büchern aufgezeichnet. Diese historischen Dokumente begeistern Sammler und Forscher gleichermaßen. Das älteste Faltbuch der Welt stammt aus Padua und ist im Jahr 1629 entstanden. Damals wurde Faltkunst an den Universitäten gelehrt, ein großes Zentrum war Halle an der Saale in Deutschland.
An Universitäten Falten gelehrt
Die Deutschen waren es auch, die die hohe Schule des Faltens nach Japan brachten, als sie 1876 in Tokio einen Privatkindergarten gründeten. Die bereits vorhandene Tradition wurde somit zur Kunstform. Auch das Wort "Origami" entstand in diesem Zusammenhang, es gab zuvor keine richtig passende Übersetzung für "Papier falten". Origami besteht nun aus "oru" für Falten und "kami" für Papier.
Bei Origami beschäftigt sich jeder immer mit Mathematik, egal ob man will oder nicht. Man kann das auch ganz gezielt im Unterricht einsetzen, denn es unterstützt das Begreifen von geometrischen Formen - Quadrat, Dreieck oder ein Würfel mit seinen sechs Seiten. In Israel haben die beiden Origami-Künstler Miri Golan und Paul Jackson das Computerprogramm "Origametria" entwickelt, anhand dessen sehr anschaulich neben den Geometrieformen auch Halbierungen, Winkelteilungen, Quer- oder Längsschnitte dargestellt werden. "Das lässt sich als Hilfsmittel bereits in Volksschulen einbauen", sagt Julia Schönhuber und betont einmal mehr, wie wichtig Falttechniken bereits im Volksschulalter sind.
Gleichzeitig haben die beiden israelischen Origami-Künstler das Projekt "Folding together" ins Leben gerufen, bei dem Israelis und Palästinenser zusammen falten. "So entdecken sie Gemeinsamkeiten, überwinden Grenzen und stellen fest, dass sie alle ähnliche Ängste, Wünsche und Vorstellungen haben, jenseits politischer Trennlinien." Deren Erfahrungen hat Julia Schönhuber in ihre eigene Arbeit einfließen lassen, als sie im ABZ mit Geflüchteten faltete.
