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Stadtwandern in Wien: An den anderen Rand der Metropole

Der Franz-Karl-Effenberg-Weg bietet Aussichten der besonderen Art, zwischen Natur und Industrie.

Auf der „transdanubischen“ Seite von Wien sind ungewöhnliche Stadtrundwanderwege zu entdecken.
Auf der „transdanubischen“ Seite von Wien sind ungewöhnliche Stadtrundwanderwege zu entdecken.

Elf offizielle Stadtwanderwege bietet Wien an, plus einen sogenannten Rundumadum-Weg in 24 Etappen entlang der Stadtgrenze. Das macht mit allen Varianten laut Website exakt 252,5 Kilometer Wegstrecke und entspricht einem Fußmarsch entlang der Donau über Bratislava nach Budapest. So weit, so statistisch.

Städte wie Wien spielen ihre Trümpfe in Sachen Kultur, Shopping und Kulinarik aus, doch wie wäre es mit einem Wiener Stadtwanderweg zur Abwechslung? Die meisten von ihnen schneiden den Wienerwald von irgendeiner Seite her an - ein eigenartiges Exemplar findet sich aber am anderen Rand der Stadt, im 22. Bezirk: die Nummer 10, der Franz-Karl-Effenberg-Weg. Sein Namensgeber war um die Jahrtausendwende Bezirksvorsteher der Donaustadt, er "war ein begeisterter Naturfreund" und "setzte sich vor allem für die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen ein". So ist es in den Tiefen des Internets in einer Presseaussendung anlässlich seines Todes zu lesen. Und auf eigenartige Weise spiegelt der nach ihm benannte Wiener Stadtwanderweg beides wider.


Als Beginn des sieben Kilometer lange Marschs wird der Friedhof in Breitenlee empfohlen, dort geht es dessen Zaun entlang, und schon nach wenigen Hundert Metern zeigen Infotafeln an, dass wir den Norbert-Scheed-Wald erreicht haben. Nur: Wo ist der?

Vor uns erstreckt sich eine Wiese, und die Reihe Hagebuttensträucher am Wegesrand geht nicht wirklich als Wald durch. Was aber auch nicht notwendig ist, denn die Umweltstadträtin und der aktuelle Bezirksvorsteher informieren uns auf den Tafeln darüber, dass hier "Möglichkeiten für sanfte und erholsame Freizeitaktivitäten schonend in die vorhandene Landschaftsstruktur integriert" wurden. Nun gut, aber immerhin: Hinter der nächsten Straße und einer Reihenhaussiedlung ragt eine geschlossene Baumgruppe hervor. Wir wandern also weiter auf sie zu und erreichen den Rautenweg. Der ist erstens eine recht stark befahrene Straße und zweitens geradezu ein Synonym für die Wiener Abfallwirtschaft. Ein Blick nach links, in Richtung des dort seit den 1960er-Jahren entstehenden Müllbergs macht uns sicher: Ein kleiner, hölzerner Wegweiser zeigt die Fortsetzung des Stadtwanderweg an. Den halben Kilometer dazwischen muss man entweder auf dem Gehsteig oder auf einem von der Fahrbahn kaum getrennten, asphaltierten Radweg zurücklegen, aber dann biegen wir in einen Feldweg ein, der die nächsten anderthalb Kilometer am Zaun der Mülldeponie entlangführt.

Bisamberg und Verschiebebahnhof Breitenlee

Interessante Ausblicke sind der geringen Mühe Lohn: etwa auf Betriebsgebäude in Almhütten-Formensprache hoch oben, auf eine Herde Pinzgauer Bergziegen und auf langsam vergilbende, überlebensgroße Fußballerfiguren neben der Erschließungsstraße - offenbar Reste der Werbung für die Europameisterschaft von 2008.

75 Meter hoch soll die Deponie Rautenweg bis zum Jahr 2065 werden, und schon jetzt ist sie nach dem Bisamberg die zweithöchste Erhebung im Stadtgebiet links der Donau. Und ungleich charmanter als ein annähernd gleich hoher Berg, der sich als Nächstes neben unserem Stadtwanderweg 10 erhebt. Der ist nämlich gelb angestrichen, nennt sich Möbelhaus und bildet den letzten Ausläufer eines Betongebirgszugs entlang der Autobahn mit dem Namen Gewerbepark. Um ihn zu erreichen, queren wir - in der Bergsteigersprache wäre hier die Formulierung "gut versichert" angebracht - die Autobahn auf einer breiten Grünbrücke und haben nun etwa die Hälfte der Wegstrecke hinter uns.

Zeit zum Innehalten. Und zum Nachdenken über das bisher Gesehene. Die Idee hinter dem Franz-Karl-Effenberg-Wanderweg ist längst klar: Etwas Vorhandenem ohne allzu viel Aufwand einen übergeordneten Nutzen zu geben. Und in einem Bezirk mit, höflich formuliert, spärlicher natürlicher Attraktion eine solche zu simulieren. Angenommen wird das Ganze übrigens sehr wohl, was die zahlreichen Jogger, Radfahrer und Hundebesitzerinnen an diesem Freitagnachmittag zeigen.

An seinem nordwestlichen Ende gehen wir unter den Bahngleisen durch und dann zurück Richtung Breitenlee. Zunächst am Campingplatzweg entlang einer Badesiedlung und dann, schon wieder hinter der Autobahn, am Rand des bereits vorhin ausgemachten Norbert-Scheed-Walds, benannt nach einem früh verstorbenen Effenberg-Nachfolger im Amt des Donaustädter Bezirksvorstehers. Der hatte die Idee, den Fleckerlteppich aus Feldern und Wäldchen als Ganzes zu sehen und da und dort miteinander zu verknüpfen - da ist er wieder, der Dualismus Naturfreundschaft und Arbeitsplätze.

Immer schnurgerade und parallel zu den Bahngleisen geht es jetzt. Links reicht der Blick weit hinaus ins Marchfeld mit seinen Windparks, rechts, hinter dem Damm, befindet sich schütteres Gehölz. Wald in Planungsphase. Doch die Freude liegt im genauen Hinsehen. Da finden sich durchaus Superlative: Von einem wichtigen Naturbiotop mit Trockenrasen ist die Rede. Von teilweise vom Aussterben bedrohten Arten wie Spät-Bitterling und Spatzenzunge. Und dass der um den Ersten Weltkrieg hier angelegte Verschiebebahnhof Breitenlee mit 100 Gleisen der größte Europas werden sollte, mit Anschlüssen in alle Himmelsrichtungen. Zu zwei Dritteln, heißt es weiter, war das Projekt auch schon fertig, ehe die Wirtschaftskrise der 1920er-Jahre sein Ende bedeutete und die bereits verlegten Schienen abmontiert und anderweitig verwendet wurden. Die paar abgestellten Waggons an den bei der Oleandergasse am Rand von Breitenlee gekappten Gleisen lassen davon nichts mehr vermuten.

Ausgangs- und Zielpunkt

Jetzt schlagen wir noch einen Haken rund um das ehemalige Dorf und haben mit dem Ausgangspunkt zugleich das Ziel erreicht, die Breitenleer Straße, die unter anderem das Wiener Schulmuseum und einen Dorfheurigen zu bieten hat, dazu den Landwirtschaftsbetrieb des Schottenstifts mit allem, was bio ist, von Äpfeln bis zum Fisch, übrigens ebenfalls aus Donaustädter Produktion.

Und offen ist natürlich auch der Friedhof gleich nebenan. Vis-à-vis der Aufbahrungshalle liegt der Namensgeber des Franz-Josef-Effenberg-Stadtwanderwegs begraben. Wie er über diese "schonend in die vorhandene Landschaftsstruktur integrierten Freizeitaktivitäten" gedacht hätte, werden wir nie erfahren.

Info: www.wien.gv.at/umwelt/wald/freizeit/wandern/wege/