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Innovatives Bauen: Warum Österreich den Gebäudetyp E braucht

Baunormen sorgen für Sicherheit und Qualität. Doch sie behindern auch Forschung, Innovation und günstigeres Bauen.

Beispiel Hallein: Die benötigte Energie nach der Sanierung liegt um 58 Prozent unter der für den Energieausweis berechneten Heizlast.
Beispiel Hallein: Die benötigte Energie nach der Sanierung liegt um 58 Prozent unter der für den Energieausweis berechneten Heizlast.

Wir brauchen auch in Österreich die Möglichkeit für den Gebäudetyp E", sagt Gunther Graupner, Geschäftsführer der ZAB Zukunftsagentur Bau in der Salzburger Moosstraße. Gebäudetyp E? "In Deutschland gibt es ihn schon", betont Graupner: "Das E steht für Experimental." Konkret geht es bei diesem Gebäudetyp darum, zu einfachen Konstruktionen zurückzukehren und Innovationen zuzulassen. "Der Gebäudetyp E gibt das Ziel vor, aber nicht den Weg", erläutert der Experte.

Derzeit sei im Bausektor alles in ein Normenkorsett eingezwängt, das Innovationen nicht zulässt. "Gerade die Komfortstandards wären aber dringend zu hinterfragen", sagt Graupner: "Im Flugzeug oder in der Bahn gibt es auch verschiedene Klassen, nur beim Bau muss alles erste Klasse sein." Er nennt als Beispiel den Deckenaufbau, dessen Zusammensetzung und vor allem Dicke in den einzelnen Staaten Europas zwischen 20 und 45 Zentimetern schwanke.

Bau-Standards wandeln sich ständig

"Die Statik wird immer komplizierter", ergänzt Peter Dertnig, Landesinnungsmeister Bau in der Wirtschaftskammer Salzburg: "Was vor 15 Jahren gepasst hat, ist heute nicht mehr möglich. Die Bauten von damals haben aber auch keine Sprünge." Auch Dertnig nennt den Deckenaufbau als Beispiel, wo man einerseits Kosten sparen, andererseits auch mehr Ökologie umsetzen könnte. "Vor 40 Jahren waren 50 Kilogramm Stahl für die Bewehrung pro Kubikmeter üblich, heute sind es mindestens 100, eher 125 Kilogramm." Grund für diese Entwicklung sei die mögliche Durchbiegung der Decke. Heute seien nur mehr 0,3 Millimeter zulässig. "Das ist bei Sichtbeton ein Haarriss, den man kaum sieht; ist die Decke verputzt, ist das gar nicht sichtbar", sagt Dertnig. Für die Statik spiele das keine Rolle: "Stahl dehnt sich mehr als Beton, daher kommen die feinen Risse." Durch die doppelte Menge an Stahl müsste dessen Zugkraft nicht ausgenutzt werden, wodurch keine oder nur kleinere Risse entstehen. Graupner: "Ich muss das einhalten, auch wenn die Decke verputzt wird. Läge die Vorschrift statt auf 0,3 wie früher bei 0,6 Millimetern, würde man sich elf Prozent an Kosten für die Decke und sieben Prozent an CO₂ ersparen." Dies zeige die Studie "Bauen außerhalb der Norm" der Universität Innsbruck, Arbeitsbereich für Baumanagement, Baubetrieb und Tunnelbau gemeinsam mit der Zukunftsagentur Bau. "Vieles ist auch in der Wohnbauförderung fixiert, etwa 2,6 Meter tiefe Balkone und durchgehende Glasgeländer", ergänzt Landesinnungsmeister Dertnig: "Das war politisch gewünscht. Es muss ja nicht gleich ein Plattenbau sein, es reicht schon, ,normal' zu bauen!"

"In einem Gutachterverfahren wirst du immer verlieren"
Peter Dertnig
Landesinnungsmeister Bau

Aktualisiere Baunormen, reduziere Heizlast

Ein anderes Thema, bei dem man allein durch eine Änderung der Baunormen Kosten und CO₂ einsparen kann, ist die Art der Berechnung der Heizlast. Unter Heizlast versteht man jene Menge an Energie, die rechnerisch benötigt wird, um ein Gebäude im Winter behaglich zu halten. Wobei "behaglich" unterschiedlich definiert wird, üblicherweise sind das 22 Grad, im Energieausweis 20 Grad. Graupner: "Die Rechnungsweise ist veraltet, das Ergebnis ist für moderne Gebäude viel zu hoch, etwa um 30 bis 50 Prozent." Er nennt ein Beispiel aus Tirol, wo für ein Gebäude der Betrieb von vier Wärmepumpen berechnet wurde, tatsächlich laufen nur zwei, an sechs Tagen im Jahr die dritte. Die vierte Wärmepumpe war nie in Betrieb. Graupner: "Es gibt innovative Verfahren wie die sogenannte thermodynamische Wärmesimulation." Diese sei viel genauer, weil wesentlich mehr Daten in das Ergebnis einflössen, das "in der Praxis sehr gut zutrifft". Die berechnete Heizlast würde viel genauer der Praxis entsprechen, der Einbau von nicht benötigten Überkapazitäten wäre hinfällig.

"Die Methode zur Berechnung der Heizlast ist veraltet"
Gunther Graupner
Zukunftsagentur Bau

Sanierung reduziert Energieverbrauch deutlich

Im Gebäudetyp E könnte man solche alternativen Verfahren anwenden. Damit könnte man verhindern, dass beispielsweise überdimensionierte Wärmepumpen sich wegen ihrer hohen Leistung ständig aus- und einschalten und dadurch die Lebensdauer verkürzt wird. Bei einem Sanierungsprojekt mit Bauteilaktivierung in Hallein habe sich das gezeigt. "Der Energieverbrauch lag um 58 Prozent unter dem im Energieausweis berechneten Wert. Aber wenn ich das abweichend vom Energieausweis so umsetze, falle ich aus jeder Förderung raus", betont Graupner.

Man müsse Standards hinterfragen, um Innovationen zuzulassen, fordert Innungsmeister Dertnig. Die sechs OIB-Basisziele wie Statik, Brandschutz, Hygiene oder Nutzungssicherheit seien einzuhalten. Aber bei den "Komfortzielen" biete sich viel Spielraum, etwa bei der Zahl der Steckdosen, der Verlegung von CAT-5-Leitungen oder der erwähnten Heizlast-Berechnung. Zwar sei es möglich, mit dem Bauherrn andere Lösungen zu vereinbaren, "in einem Gutachterverfahren wirst du aber trotzdem immer verlieren", bestätigt Dertnig.