Eifrig gebohrt, gehämmert, gestemmt und die eine oder andere Leitung verlegt wird gerade in Thalgau. Beim Projekt betreutes Wohnen der Heimat Österreich sind die Bauarbeiten voll im Gange. Der Rohbau steht, Fenster und Türen sind eingebaut, jetzt geht es an den Innenausbau der insgesamt 27 Wohneinheiten am Weidenweg. Sie sind als Ein-, Zwei- oder Dreizimmerwohnungen konzipiert und sollen noch heuer im Sommer - Ende Juli/Anfang August - an die künftigen Bewohner übergeben werden. Zusätzlich gibt es im Erdgeschoß einen Gemeinschaftsraum für alle Bewohner.
Barrierefreies Wohnen beginnt bereits im Kopf
Barrierefreiheit heißt, sich schon beim ersten Grundgedanken, vor dem ersten Entwurf, Vorstellungen zu machen, wie Wohnen und Leben zu gestalten sind.


Das Bauvorhaben "Betreutes Wohnen Bauteil III" ist die Erweiterung der bereits bestehenden Anlage in der Gemeinde, der Bedarf ist gegeben.
Bis ins Detail geplant ist die Wohnanlage vom Architekturbüro KS Bau trifft Architektur, ebenfalls aus Thalgau. Gegründet haben das Büro Architekt Markus Strobl und Baumeister Florian Klaushofer. Letzterer ist überdies zertifizierter und gerichtlich beeideter Sachverständiger für barrierefreies Bauen. Ein Wissen, das er sich im Lauf vieler Jahre angeeignet hat.
Aus persönlicher Betroffenheit
Die Thematik beschäftigt Klaushofer bereits seit Jahren, er hat sich viele Gedanken darüber gemacht. "Es ist mir ein persönliches Anliegen geworden. Für einen Bekannten wurde nach einem schweren Autounfall von einem Tag auf den anderen das ganze Leben komplett anders. Er musste sein Zuhause vollständig neu adaptieren, damit alles barrierefrei zugänglich ist. Das hat mein Interesse geweckt und so habe ich mich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und mich weitergebildet", schildert er. Seit 2014 ist Klaushofer zertifiziert und gerichtlich beeidet, in Streitfällen langen von den Gerichten immer öfter zahlreiche Fragen an ihn ein. <zitat>Es geht um die Balance zwischen Nutzung und Wohlbefinden.¦Florian Klaushofer¦Baumeister</zitatIch bin der Meinung, man muss Barrierefreiheit auch nach außen tragen. Der Bedarf ist da und das Interesse steigt ebenfalls." Für ihn geht es um die Frage, wie die Balance zwischen Nutzung und Wohlbefinden zu schaffen ist. Der Sachverständige ist überzeugt, dass sich die Barrierefreiheit immer umsetzen lässt, egal ob im Wohnbau, bei öffentlichen Gebäuden oder eben auch beim betreuten Wohnen. "Freilich ist es mit einem gewissen Platzbedarf verbunden, aber es ist so gut wie immer leicht zu realisieren." Man muss sich eben schon von Anbeginn an etwas überlegen. "Und natürlich kostet es etwas mehr, aber das bleibt meist überschaubar." Profitorientierte Bauträger müssen andererseits wirtschaftlich und in Quadratmetern pro Nutzfläche denken. Wenn das Bad größer sein muss, um den Wendekreis mit einem Rollstuhl zu schaffen, oder der Vorraum, geht Fläche verloren. "Trotzdem muss es noch leistbar bleiben."
Mobilität und Selbständigkeit in allen Lebensphasen
Barrierefreiheit beginnt im Kopf. Dann nämlich, wenn das Bewusstsein für Räume, Platzbedarf und die individuellen Bedürfnisse beim Leben und Wohnen erwacht. Barrierefrei steht für Mobilität und Selbstständigkeit in allen Lebensphasen. Dazu braucht es jedoch ein paar Überlegungen, die schon bei der Planung berücksichtigt werden.
Türen müssen beispielsweise breit genug für Rollstühle sein. Wer sich schon jemals genauer Grundrisse und Pläne angeschaut hat, findet in den Räumen den Wendekreis eines Rollstuhls eingezeichnet, der 150 Zentimeter beträgt. Es geht aber nicht nur um den Rollstuhl, sondern die Menschen müssen auch mit Krücken oder einem Rollator unterwegs sein können. "Bei älteren Menschen kommt oft die nachlassende Sehfähigkeit oder schwächerer Gleichgewichtssinn hinzu. Entsprechende Lösungen dafür müssen in der Planung bereits mitgedacht werden." Haltegriffe in Bad und WC erleichtern das Leben, ebenso in der Dusche. Die Waschbeckenhöhe ist anzupassen, ebenso auf welcher Höhe ein Spiegel anzubringen ist, der im Idealfall auch noch klappbar ist.
Badewanne oder Dusche?
Die Frage Badewanne oder Dusche beantwortet Klaushofer pragmatisch: "Es muss nicht unbedingt die barrierefrei und bodeneben zugängliche Dusche sein. Es kann auch eine erhöhte Badewanne funktionieren, wenn sich jemand auf den Rand setzt und so ein Bein nach dem anderen in die Wanne schwingt."
Genaue Überlegungen sind überdies bei den Zugängen von außen anzustellen. Sind Gehsteige, Treppen oder andere Kanten zu überwinden, ist eine Rampe mit Geländer gefordert. Wobei der Steigungswinkel der Rampe bedeutsam ist. "Es ist niemandem gedient, wenn die Steigung so steil ist, dass man nur mit fremder Hilfe hinauf- oder hinunterkommt."
Wohnen ohne Barrieren: Alles soll gut erreichbar sein
Wohn- und Schlafräume brauchen meistens keine besonderen Überlegungen, aber bei Vorräumen ist jeweils der Wendekreisradius mitzudenken. Barrierefreies Wohnen bedeutet auch, die Wohnräume nicht zu voll zu stellen und so einzurichten, dass wichtige Alltagsgegenstände jederzeit gut erreichbar sind. Barrierefreies Wohnen bedeutet Komfort und Sicherheit für Menschen in jeder Lebenslage. Es geht um Unterstützung im Alter oder bei körperlichen Einschränkungen sowie darum, Räume zu schaffen, die für alle Nutzenden zugänglich und angenehm sind.
Nicht nur in privaten Wohnungen, sondern auch in Ämtern, Behörden oder sonstigen öffentlichen Gebäuden ist Barrierefreiheit ein Thema. Barrierefreies Wohnen vereinfacht Senioren und Menschen mit Behinderung das Leben. Aber nicht nur diesen: "Es betrifft ja nicht nur ältere Leute, auch in Schulen ist das Thema gefragt, wenn sich dort etwa Kinder oder auch Lehrkräfte mit Beeinträchtigung befinden. Auch als gesunder, vitaler Mensch ist man schließlich nie davor gefeit, nicht doch unvorhergesehenerweise auf ein barrierefreies Umfeld angewiesen zu sein", gibt der Thalgauer Experte zu bedenken.
Barrierefreies Bauen: Mindestmaße und Anforderungen
Einen beträchtlichen Anstoß zum barrierefreien Bauen lieferte das seit 2006 geltende Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG). Es hat das Ziel, Menschen mit Behinderungen die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Dazu zählt insbesondere der gleichberechtigte Zugang zu öffentlich verfügbaren Dienstleistungen, der durch bauliche Barrieren oftmals nur eingeschränkt oder gar nicht möglich ist.
Die Anforderungen der Grundlagen für barrierefreies Bauen sind in eigenen Önormen beschrieben und zusammengefasst. Sie definieren Mindestmaße für Bewegungsflächen, Anforderungen an Badezimmer, Küchen und Zugänge sowie technische Hilfsmittel. Ziel ist es, Hindernisse zu minimieren und die Nutzbarkeit für alle Bewohner und Bewohnerinnen sicherzustellen. Eine Umsetzung nach diesen Vorgaben erhöht die Lebensqualität in barrierefreien Wohnungen.
Bauliche Barrieren (so beispielsweise aufgrund von Stufen oder zu geringer Türbreiten) können nach den Bestimmungen des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes eine Diskriminierung darstellen und entsprechende Schadenersatzforderungen nach sich ziehen. Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.