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Wie soll eine lebenswerte Stadt ausschauen?

Für das Ziel einer wertvollen Stadt braucht es mehrere Denkebenen und Lösungsansätze. Das Autostadt-Konzept hat jedenfalls ausgedient - es braucht neue Stadtentwicklungskonzepte.

„Was ist mit den Blumen?“
„Was ist mit den Blumen?“

Es ist nicht zu überhören: Andreas Kleboth, Architekt und Partner von Kleboth und Dollnig in Linz, ist ein Fan von Städten. Das ist wohl auch einer der Gründe, warum er Visionen einer wertvollen Stadt entwickelt hat, die er bei den Future Brick Days 2024 im Architekturzentrum Wien präsentierte.

Aspekte, die eine Stadt ausmachen

Für ihn gibt es mehrere Aspekte, die eine Stadt ausmachen.

1. Da wäre einerseits die Funktionsebene, also Straßen, technische Infrastruktur, Leitungen, öffentliche Verkehrsmittel oder Grünräume.

2. Daneben gebe es die "Software", also die Verwaltung und die Politik. "

3. Und dann gibt es noch die Menschen, die die Stadt prägen.

Jeder bringt etwas mit in die Stadt, seine Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche", sagt Kleboth. Zur Funktion kommt also noch die Emotion. "Da gibt es viele Koinzidenzen, also zufällige Zusammentreffen, da greift alles ineinander. Würde man das alles planen, würde man grandios scheitern."

So aber gibt es in der Stadt viel individuelles Agieren. "Wir sind für die Stadt gemacht, weil wir Komplexität schaffen", erklärt der Architekt. "Das ist aber auch eine Zumutung: die Vielfalt, ständig etwas Neues, ständig neue Konkurrenzen." Doch all das führe dazu, dass die meisten Ideen, Kreationen etc. in der Stadt entstünden. "Deshalb wächst die Wirtschaft, gibt es kulturellen Fortschritt."

Stadtentwicklung war meist keine erfolgreiche Entwicklung

Doch die Stadtentwicklung war meist keine erfolgreiche Entwicklung, wenn man die jüngere Geschichte betrachtet. "Das Auto hat dafür gesorgt, dass Städte zu Agglomerationen wurden. Die Autostadt war ein Konzept vor 100 Jahren."

Wie sollte nun die neue Stadt ausschauen?

Kleboth: "Ich habe ein Modell mit fünf Ebenen und je fünf Gedanken entwickelt", betont der Architekt. Diese Punkte müssten aber in jeder Stadt neu und den Gegebenheiten entsprechend adaptiert werden. Ein Allheilmittel für alle Städte seien seine Gedanken nicht.

Dennoch: Die erste Ebene sind für ihn die Grundsätze. Zentraler Gedanke: Öffentliches Interesse vor Individualinteresse, wobei öffentliches Interesse nicht die Summe von Individualinteressen ist.

"Zweitens brauchen wir eine äußerst sparsame Bodeninanspruchnahme." Kleboth erzählte in diesem Zusammenhang von seiner Tochter, die nach der Verbauung eines Grundstücks die berechtigte Frage stellte: "Was ist mit den Blumen?"

Ein weiterer Grundsatz des Oberösterreichers ist "die maximale Differenz zwischen Stadt und Land". Grundstücke sollten zudem in öffentlicher Hand sein, Gebäude sollten so ortsspezifisch wie möglich gedacht werden.

"Wir müssen Zukunftsoptionen für später sichern."
Andreas Kleboth
Architekt, Linz

Zweite Denkebene nach diesen Grundsätzen ist die Vorsorge. "Wir müssen eine Mindestfläche an Natur reservieren und auch Zukunftsoptionen sichern, damit für spätere Notwendigkeiten Platz freigehalten wird." Vorausschauend zu agieren ist eine weitere Maxime, Kleboth nennt in diesem Zusammenhang das Beispiel der Seestadt Aspern in Wien.

Weiters gebraucht werde eine "enkelfitte Nachhaltigkeit" sowie eine standhafte Prinzipientreue. Der Linzer nennt hier als Beispiel die Salzburger Grünlanddeklaration, auch wenn diese in der Realität noch eine Reihe von Begleitmaßnahmen erfordern würde.

Dritte Denkebene ist für Kleboth das öffentliche Interesse. Er nennt in diesem Zusammenhang ein transparentes und partizipatives Vorgehen in der Stadtplanung. "Wir müssen auch den Gestaltungsspielraum erweitern, denn Städte sollten auch in 100 Jahren noch gestaltbar sein." Kompakte, dichte Nullenergiestädte, das ist eine der Visionen von Kleboth. Sie sollen eine höhere Lebensqualität und -chance für möglichst viele Menschen bieten. Und auch die Stadtmarke an sich muss gestärkt werden. "Die Stadt muss begehrenswert sein!"

Ziele und Konzepte für eine begehrenswerte Stadt

Um eine Stadt begehrenswert zu machen braucht es Ziele, die nächste große Denkebene. Das bedeutet für ihn mehr Bürgerpartizipation oder auch innovative Steuerungselemente und "spannende Nachbarschaften". Rein baulich sollte zu den Zielen auch eine aktive Bodenpolitik gehören sowie ein "solider Städtebau, durchaus mit ,crazy Houses'", sagt der Architekt überzeugt. "Man braucht ja nur aus dem Fenster zu schauen: Alte Stadtstrukturen können viele verschiedene Nutzungen aushalten. Nur in der Autostadt zu denken ist viel zu eindimensional."

Es braucht also Konzepte, womit die fünfte Denkebene erreicht ist. Dazu gehören für ihn dezentrale Stadtteilateliers, wo auch anders gedacht werden soll. "Dazu kommen neue, agile Formate der Stadtentwicklung und vor allem eine 180-Grad-Wende beim Verkehr." Also ein Ende des schon erwähnten Denkens über Autostrukturen. Begrüßenswert sind für Kleboth auch "faire rechtliche Grundlagen für Experimentalquartiere". Und: Städte müssen eigene Bodenfonds einrichten.

Stadtstrategien für alle Städte

Um die wertvolle Stadt der Zukunft zu erreichen, sollten "möglichst alle Städte solche Stadtstrategien haben oder selbst entwickeln". Denn eines sei auch klar: Das Denken, etwa der Politiker, präge die Architektur und die Stadtplanung von Kommunen. Damit auch genügend Freiraum des Denkens und Planens entsteht, nennt Kleboth ein Beispiel aus Deutschland. Beim dortigen sogenannten "Gebäudetyp E" geht es nicht darum, Normen zu erfüllen, sondern vielmehr darum, Ziele zu erreichen. Und auch beim Thema Bodenverbrauch ist eine Differenzierung angesagt: "Es gibt versiegelnden und nicht versiegelnden Bodenverbrauch. Das eine sind Gebäude oder Gebäudenebenflächen, das andere sind Gärten."

Modell der 15-Minuten-Stadt

Geht es um die Stadt der Zukunft, dann kommt nach den Prämissen "enger, zentraler, grüner" schnell das Stichwort 15-Minuten-Stadt ins Spiel. Das bedeutet, arbeiten, wohnen und Freizeit sollten in 15 Minuten erreichbar sein. "Wobei noch keiner genau definiert hat, ob das zu Fuß oder per Verkehrsmittel sein soll", sagt Thomas Beyerle bei den Future Brick Days. Er ist Head of Group Research bei der Catella Real Estate AG in München und sieht große Herausforderungen auf die Städte zukommen: Treiber des europäischen Wohnungsmarktes sind derzeit die fortschreitende Urbanisierung, der demografische Wandel, (finanz)politische Entscheidungen und Corona. "Das Problem ist: Die gesamte Weltbevölkerung möchte so leben wie wir, etwa was Urbanität oder Autoverkehr betrifft. Doch das sind viel mehr Leute als wir in Europa."

Doch ist die 15-Minuten-Stadt darauf eine Antwort? "Man glaubt es nicht, aber die heute 18-Jährigen haben einen Radius von 1,2 Kilometern. Während wir im Bezirk leben und am Wochenende einen Städteflug machen, werden die Jungen nicht da einkaufen, dort Kultur konsumieren und wieder woanders Sport betreiben. Sie sind mit Onlineshopping und Lieferdiensten groß geworden."

Was der 15-Minuten-Stadt entgegensteht, ist etwa die Tatsache, dass Eigentümer wenig gewillt sind, beispielsweise Büroflächen in Wohnraum zurückzuverwandeln. "Das bringt minus 40 bis 60 Prozent Abschlag auf den Buchwert der Immobilie."

Es brauche also eine Fokussierung auf die Grundfunktionen: Arbeiten, Mobilität, Gesundheit, Nahversorgung, Naherholung, Bildung oder Freizeit. Doch schon jetzt verändern sich Wohnviertel, sobald ein Öffi-Knoten errichtet wird. "Da ist es dann schwer, eine funktionale Durchmischung zu erreichen", sagt Beyerle. Ein Treiber für die 15-Minuten-Stadt sind für den Experten Fachmarktzentren. Aber: Wohnen, Arbeiten und Shoppen in 15-Minuten-Entfernung habe seinen Preis. Es werde wohl in Zukunft nicht nur zentraler, enger und grüner, sondern vor allem auch teurer.