Das auch für große Infrastrukturprojekte zuständige Klimaschutzministerium veröffentlichte am Mittwoch die seit Langem erwartete Evaluierung großer Straßenbauprojekte in Österreich. Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) hatte sie im Vorjahr in Auftrag gegeben und damit dem staatlichen Autobahnbetreiber Asfinag überraschend einen Planungsstopp verordnet. Einige Entscheidungen wurden bereits getroffen (siehe Zusatzbericht rechts). Das öffentliche Interesse konzentrierte sich auf den Lobautunnel, eines der umstrittensten Projekte. Es geht um einen 8,5 Kilometer langen Autobahntunnel, der rund 45 Meter unter der am Rande des Nationalparks Donauauen liegenden Lobau im Südosten Wiens geplant ist. Kosten: mindestens zwei Milliarden Euro. Das Vorhaben wird seit zwei Jahrzehnten geplant und ist Teil eines Umfahrungsrings, der vor allem die Südosttangente (A23) entlasten soll.
Am Mittwoch nun verkündete Ministerin Gewessler, dass der Tunnel nicht gebaut werde. Als Begründung nannte sie, dass neue Straßen aus Erfahrung mehr Individualverkehr verursachen, daher werde das Projekt im Sinne des Klimaschutzes nicht fortgesetzt. Schließlich hätten sich die Rahmenbedingungen in den vergangenen Jahrzehnten geändert.
Das Umweltbundesamt hatte bei der Analyse von sechs Schnellstraßenprojekten im Osten errechnet, dass die durchschnittliche erwartete Verkehrszunahme durch die Projekte 50 bis 55 Prozent im Zeitraum von 15 bis 20 Jahren betrage. Fazit: "Diese Modellergebnisse stehen im Widerspruch zu den nationalen Zielsetzungen gemäß Mobilitätsmasterplan 2030." Konkrete Alternativen nannte Gewessler nicht. In der Information des Ministeriums heißt es allgemein: "Um gute alternative Mobilitätsangebote sicherzustellen, wird das Klimaschutzministerium gemeinsam mit den ÖBB den Ausbau der S-Bahn rasch vorantreiben."
Gewessler konnte sich des Applauses aus den eigenen Reihen und der Umweltlobby natürlich sicher sein. Auch die Klubobfrau der Neos in Wien, Bettina Emmerling, sprach von einer "erwartbaren und richtigen Entscheidung". Sie warnte davor, das Thema durch Rechtsstreitigkeiten über Jahre zu verzögern.
Das sehen der Koalitionspartner der Grünen auf Bundesebene, die ÖVP, und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, der mächtigste SPÖ-Politiker, völlig anders. Für die ÖVP machte Finanzminister Gernot Blümel, der auch Parteichef in Wien ist, klar, dass Gewessler bei den Straßenprojekten "das Einvernehmen mit dem Finanzministerium braucht". Die Lobauautobahn entlaste die Anrainer (anderer Straßen) und stärke den Standort.
Ganz ähnlich Bürgermeister Ludwig: "Die Präsentation der Ministerin war fast eine Pflanzerei. Das war heute ein Nein zu einem seit Langem entwickelten Projekt ohne Alternative. Ich erinnere daran, dass die Grünen zehn Jahre das Verkehrs-Planungsressort in Wien hatten." Die Stadtstraße zur Seestadt Aspern - Bauherr ist hier die Stadt - solle auf jeden Fall gebaut werden, so Ludwig. Aber wenn die Verlängerung der S1 in Raasdorf (NÖ) "im Nirwana" ende, wäre das sinnlos.
ÖAMTC und ARBÖ warfen Gewessler vor, sie nehme in Kauf, dass auf der Tangente der Stau bleibe.




