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Verlernen wir die Handschrift? Bei der US-Wahl konnten Jugendliche nicht per Hand unterschreiben

Bei der US-Wahl waren zigtausend Junge nicht fähig, per Hand zu unterschreiben. Ist daraus ein Trend abzuleiten? Und wäre der Verlust der Handschrift überhaupt schlimm?

Offenbar tun sich zumindest US-Jugendliche immer schwerer, mit der Hand zu schreiben.
Offenbar tun sich zumindest US-Jugendliche immer schwerer, mit der Hand zu schreiben.

Es war nur ein Detail am Rande der US-Wahl. Aber eines, das durchaus nachdenklich machen kann: In Nevada, dem Bundesstaat mit der Metropole Las Vegas, wurden Tausende Briefwahlstimmen zurückgewiesen. Der Grund: "Viele jüngere Menschen haben ein Problem mit der Unterschrift - weil sie in einer digitalen Welt leben und im wirklichen Leben noch nie eine echte Unterschrift geleistet haben", sagte Nevadas Secretary of State, Francisco Aguilar, dem TV-Sender CNN.

Ein Nevada-eigenes Kuriosum? Oder ist daraus tatsächlich ein Trend abzuleiten: Verlernen die jüngeren Generationen die Handschrift - und stirbt diese somit aus?

Die gleichen Fragen haben die SN bereits 2016 in einem Artikel aufgeworfen. Den Anstoß gaben auch damals die USA: Statistiken belegten, dass in nur noch zwölf der 50 US-Bundesstaaten die Handschrift gelehrt wurde. Im selben Jahr strich Finnland zwar nicht die Hand-, aber die Schreibschrift vom Lehrplan. Zudem gab es damals bereits Schulen, etwa in Deutschland, in denen eine sogenannte Grundschrift gelehrt wurde. Dabei entwickeln die Schülerinnen und Schüler eine eigene Schreibart, lernen aber keine einheitliche Schrift mehr.

"Ja, da ist eine Kulturtechnik im Abnehmen begriffen. Das wird dramatisch weniger", konstatiert Manfred Glauninger, Soziolinguist an der Uni Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der Wissenschafter bemerkt den Trend unter anderem im universitären Alltag: "Wenn die Studierenden eine Klausur mit der Hand machen müssen - das kommt dann und wann noch vor -, dann jammern sie häufig, wie anstrengend das ist." Die heutige Jugend assoziiere ihr tägliches Verhalten gar nicht mehr mit Schreiben: "Eine Studentin, die Interviews für ihre Masterarbeit durchführt, hat mir erzählt, dass die Jugendlichen entgeistert reagieren, wenn man ihnen erklärt, dass Tippen mit dem Smartphone auch Schreiben ist."

Glauninger hält es nicht für ausgeschlossen, dass eine "soziokulturelle Evolution" bevorsteht - eine von einer Übergangsgeneration hin zu einer Generation, "die nur noch digital schreibt". Der Trend beunruhigt den Experten aber nur in Maßen: "Es ist natürlich eine Kulturtechnik. Ich hatte in der Schule sogar noch das Fach Schönschreiben. Aber wenn es rein um das Mitteilen geht, ist es nicht so dramatisch." Deshalb warnt Glauninger vor "überspitztem Kulturpessimismus".

Doch kann die Handschrift nicht viel mehr als rein Information vermitteln? Dem sei mit Sicherheit so, sagt Glauninger: Etwas von Hand Geschriebenes habe einen speziellen Wert, es könne sein, dass man in Notfällen auf die Handschrift angewiesen ist - und vor allem legen Studien nahe, dass das Schreiben per Hand kognitive Fähigkeiten anregt. In ebendiese Kerbe schlägt Matteo Carmignola, Vizerektor für Lehre an der Pädagogischen Hochschule Salzburg (PH). Er verweist auf "kognitionspsychologische Effekte": Die Handschrift könne "konzeptuelles Denken, Word Memorization, also die Fähigkeit, sich Wörter zu merken, und sogar emotionale Effekte wie eine bessere Stimmung" fördern. Auch die Lesefähigkeit könne durch die Handschrift forciert werden. Ferner werde beim Erlernen der Schrift die Feinmotorik geschult. Deshalb ist Carmignola nicht nur aus persönlicher Sicht ein Verfechter ("Ich bin wer, der Gedanken hinkritzeln muss"), sondern überzeugt, dass speziell in Vorschule und Volksschule der Schreibvorgang per Hand zum Unterricht dazugehört. Entsprechend werden auch an der PH Methoden vermittelt, um die Schriftgestaltung zu fördern.

Wenngleich: Das Pflichtfach Tafelschrift, bei dem angehende Lehrerinnen und Lehrer ihrerseits gelernt haben, auf der Klassentafel schön zu schreiben, gebe es seit einigen Jahren nicht mehr. Carmignola ortet auch einen Trend, dass im Unterricht zwar noch per Hand mitgeschrieben wird, aber nicht auf Papier, sondern auf Tablet mit Digitalstift - was aber offenbar vergleichbare Vorteile mitbringt: "Die positiven Effekte der Handschrift gibt es laut Studien in ähnlicher Form auch, wenn man auf einem Tablet mit dem Stift schreibt."

Diese Effekte dürften den meisten Österreicherinnen und Österreichern bewusst sein: Wie ein SN-Rundruf bei Schulen ergab, gibt es selten Schwierigkeiten mit Schülerinnen und Schülern aufgrund fehlender handschriftlicher Fähigkeiten. Auch das Bildungsministerium hält auf Nachfrage fest, dass die Handschrift "besonders in der Volksschule wichtig bleibt". Allein schon, da sie Feinmotorik und Gedächtnis fördere. Dennoch sei es nötig, ebenso die Digitalisierung in und um Schulklassen zu fördern.

Dass trotz des Trends hin zur Digitalisierung die Handschrift nicht vollends auf der Strecke bleiben sollte, hat offenbar mittlerweile auch Teile der USA zum Umdenken gebracht: Aus den erwähnten zwölf Bundesstaaten, in denen die Handschrift 2016 vermittelt wurde, sind mit Stand Jänner dieses Jahres 22 geworden.