Frau Trigler, ich hoffe, Sie verzeihen mir die persönliche Einstiegsfrage: Macht Ihnen das, was gerade auf der Welt passiert - Kriege, Autokratien, Börsencrash -, Angst? Maria Trigler: Nicht in einem breiten Ausmaß. Aber natürlich mache ich mir Sorgen - vor allem, weil alles sehr unberechenbar ist. Das ist auch das, was die meisten unserer Patienten sagen: Die Unberechenbarkeit ist besonders schlimm. Noch vor ein paar Jahren konnte man abschätzen, wie sich Dinge entwickeln werden. Mittlerweile ändert sich das ja im Minutentakt. Die Zollregeln von Donald Trump sind das beste Beispiel dafür.
Wieso tun wir uns mit Unberechenbarkeit derart schwer? Das Gehirn strebt nach Sicherheit. Und im Sinne seines Sicherheitsgedankens will es antizipieren. Dabei prüft es aus unseren Erfahrungen heraus: Ist es eine tatsächliche Bedrohung oder eine vorgestellte, also male ich mir etwas aus? Das Problem bei der aktuellen Nachrichtenlage ist: Das sind oft tatsächliche Bedrohungen oder zumindest Bedrohungsszenarien. Das macht etwas mit uns.
Was macht es mit uns? Das hängt von unseren Erfahrungen ab. Wenn er kein Repertoire an Erfahrungen hat, neigt der Mensch dazu, vom Schlimmsten auszugehen. Und in dem Moment, wo ich etwas als tatsächliche Bedrohung empfinde, entstehen psychische Symptome. Ein gewisses Unwohlgefühl, eine gewisse Ängstlichkeit ist da noch normal. Doch es gibt einen fließenden Übergang zu einer Angststörung, also zu einem Zustand, wo Angst das prägende Symptom ist. Ich erinnere mich an einen unserer Patienten, der bei uns an der Abteilung in Behandlung war und am Wochenende nach Hause fahren sollte: Er empfand allein den Gedanken daran als absolut überfordernd, obwohl eine tatsächliche Bedrohung nicht bestand.
Bei diesen Angststörungen gibt es die generalisierte Angststörung. Diese ist unspezifisch, kann sich in Panikattacken äußern. Zudem gibt es die klassische Angststörung, also die spezifische, zum Beispiel eine Spinnenphobie oder Höhenangst.
Woher kommen solche Ängste? Das hat viel mit Lernen zu tun: Wie habe ich gelernt, Angst zu interpretieren und damit umzugehen? Ein Beispiel: Wenn ein Kind sich wehtut, gibt es zwei Varianten. Ich versuche, es abzulenken, auf andere Gedanken zu bringen, zu deeskalieren - dann wird sich das Kind schnell beruhigen. Oder ich setze einen Mechanismus in Gang, der die Angst verstärkt - indem ich katastrophisiere, indem ich bestimmte Situationen als wahnsinnig gefährlich darstelle. Das hat auch viel mit Familiengeschichte zu tun: Das Lernen wird zumeist übernommen. Aber auch nicht alles entsteht durch ein überbehütendes Elternhaus - auch Traumaerfahrungen sind ein großes Thema. Ich erinnere mich an eine Patientin, die eine schwere Traumatisierung erlebt hat: Wenn man zu ihr ins Zimmer kam, reagierte sie schreckhaft, versteckte sich unter der Bettdecke und zeigte deutlich, dass sie sich vor uns, trotz Wohlwollens, massiv fürchtete.
Aber wie sind dann Phobien wie jene vor Spinnen erklärbar? Diese werden wohl nur selten von Traumata ausgelöst oder jemandem angelernt. Doch, beides kann der Fall sein: Ich kann von meinen Eltern "gelernt" haben, wie furchteinflößend Spinnen sind. Oder es kann eine tatsächliche Bedrohung gegeben haben, zum Beispiel einen Spinnenbiss. Aber ja, oft ist das auch ein Stellvertreterthema: Eine Traumatisierung ist da, die äußert sich in der Angst vor Spinnen - aber dahinter steckt etwas anderes. Dazu kommt die Evolution: Wir Menschen hatten immer schon Angst vor Insekten, vor krabbelnden Tieren.
Kommen wir zu den Folgen der Angst: Was passiert in unserem Körper, wenn Ängste hochkochen? Da spielt sich alles im Gehirn ab; konkret im limbischen System, in unserer emotionalen Schaltzentrale. Über das System werden Stresshormone ausgeschüttet, das bekannteste ist Adrenalin, aber auch Cortisol oder andere. Durch das Adrenalin etwa verengen sich die Blutgefäße, die Augen weiten sich - und alles Unwesentliche wird ausgeblendet, da das zu viel Energie kosten würde. Im Angstzustand interessiert den Körper zum Beispiel die Verdauung gar nicht. Alles wird zurückgefahren, um sich auf die zwei grundsätzlichen Methoden des Umgangs mit der Angst zu konzentrieren: Entweder stelle ich mich der Angst - ich bin im Kampfmodus - oder ich setze auf Flucht.
… also Fight or Flight. Richtig. Situativ kommt unser Körper damit im Regelfall ganz gut klar. Aber kommen wir öfter in solche Situationen, wird es zum Problem: Wenn Betroffene permanent unter Spannung stehen, hat das seinen Preis. Dann kommt es gerne zu psychosomatischen Symptomen wie Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Problemen mit der Verdauung, oder das Immunsystem kommt durcheinander. Wir dürfen ja nicht vergessen: Der Körper fängt irgendwann an, gegenzuregulieren. Er kann nicht dauernd Adrenalin ausstoßen. Die Folge kann sein, dass ich irgendwann chronisch erschöpft bin, langsamer werde. Dass viele krank werden, wenn sie auf Urlaub gehen, kommt auch daher: Kaum lässt der Stress, der Druck, die Angst nach, lässt das Immunsystem nach.
Und was ist mit Reaktion Nummer drei: der viel zitierten Schockstarre? Ja, auch diese gibt es. Dieser Totstellreflex ist fest in unserer Biologie verankert. Der kommt aber eher in Traumasituationen hoch. Angst triggert vor allem den Kampf- und den Fluchtmodus.
Umso mehr: Wie können wir vermeiden, dass uns Ängste umtreiben? Zunächst muss ich die Angst einordnen. Wenn meine Spinnenphobie so groß ist, dass ich nicht mehr außer Haus gehe, muss ich etwas tun. Wenn ich Höhenangst habe, aber eh nie auf einen Berg gehe, dann wird mich das weniger beeinflussen. Da, wo die Konsequenzen gravierend sind, ist eine Therapie das Mittel der Wahl. Da sind zwar alle psychotherapeutischen Ansätze hilfreich, aber vor allem die Verhaltenstherapie - auch in Kombination mit medikamentöser Behandlung, also Beruhigungsmedikamenten für Akutphasen - hat da viel wissenschaftliches Know-how gesammelt. In dieser lerne ich, Situationen besser einzuschätzen und mich ihnen schrittweise zu stellen. Konfrontation ist ein wichtiger Teil des Umgangs mit Angst.
Und fernab der Therapie? Ich muss einen rationalen Zugang finden. Zum einen muss mir klar sein, dass ich nicht permanent Angst vermeiden kann. Zum anderen muss ich Fall für Fall abwägen, wie bedrohlich eine Situation ist: Ich muss eben rational und nicht katastrophal denken.
In weiterer Folge ist - ähnlich wie bei einem Kind - Ablenkung ganz wichtig: Verändern Sie den Fokus, lenken Sie sich ab mit Dingen, die Sie gern tun. Wenn das Gehirn sich auf die Angst fokussiert, läuft die ganze Energie dorthin - wir kommen in den Teufelskreis der Angst.
Eine weitere Maßnahme ist gezielte Bewegung: Lernen Sie, sich zu entspannen - und zwar grundlegend und in der Situation selbst. Ich muss Ventile finden, damit ich im Stress nie so hoch rauftriggere, ich muss das Erregungsniveau senken. Es ist das berühmte Fass mit einem Ventil, um immer wieder was ablassen zu können, damit ich nicht überlaufe. Atem- oder Entspannungstechniken können so ein Ventil sein. Ich muss meinen Körper trainieren, mit Angst umzugehen.
Sie haben das Ablenken erwähnt: Gerne wird uns mitgegeben, das Verdrängen von Problemen sei schlecht. Nein, Verdrängen ist ein ganz wichtiger Mechanismus - Gott sei Dank haben wir ihn. Pathologisches Verdrängen, wenn ich mich völlig abspalte - das ist nicht gesund. Aber bewusst den Blickwinkel auf etwas anderes zu lenken, ist eine Art von Regulation. Je mehr ich der Angst Raum gebe, desto schlimmer wird sie werden. In der Therapie verwenden wir sogar Ammoniak: Wenn du das gerochen hast, denkst du an nichts anderes mehr. Eine Reorientierungsübung, die jeder machen kann, ist die 5-4-3-2-1-Methode. Dabei nennt man fünf Dinge, die man gerade sehen, vier Dinge, die man gerade berühren, drei Dinge, die man gerade hören, zwei Dinge, die man gerade riechen, und ein Ding, das man gerade schmecken kann. Damit wird das Gehirn auf einen anderen Modus gelenkt.
Und was ist mit dem Ansatz, die Angst zu limitieren, indem man versucht, so viel wie möglich im Leben zu kontrollieren? Das Leben ist unberechenbar - wir können nicht auf alles kontrollierend einwirken. Ich habe einige Patienten, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind, aber immer wieder zurückfahren. Da frage ich dann gerne: Wie ist es in der Ukraine? Haben alle noch Angst? Offenbar nicht. Der Mensch kann also lernen, auch mit unberechenbaren Bedrohungen umzugehen. Unberechenbarkeit ist ein Teil des Ganzen - damit müssen wir leben.
Das heißt, Perfektionismus ist kontraproduktiv. Ja. Perfektionismus, also alles unter Kontrolle bringen zu wollen, verstärkt meist die Angst. Auch bei Zwangsstörungen ist das oft ein Thema. Perfektionismus kann der Übergang in die Pathologie sein.
Wir haben nun vor allem über die negativen Facetten von Angst gesprochen. Gibt es auch positive? Ja. Angst ist eine unserer Hauptemotionen - und diese ist eine ganz wichtige Warnzentrale: Sie soll uns vor Gefahren schützen. Ich brauche eine gesunde Angst, damit ich nicht bei Rot über die stark befahrene Kreuzung laufe. Durch die Angst vor Schmerz kann ich mich in Gewaltsituationen besser schützen. Das ist auch der Grund, warum sich Kinder oft in Gefahr begeben: Sie vertrauen blind. Je mehr Erfahrungen ich sammle, desto besser kann ich die Angst kennenlernen.
Kommen wir nochmals zu den Donald Trumps dieser Welt … … die haben leider keine Angst. Außer wenn sie verlassen werden, also vor Kränkung.
… sie säen aber bewusst Angst. Ist das eine gute Strategie, wenn man andere ins Tun bringen will? Ich will nicht sagen, dass es eine gute Strategie ist. Aber ja, leider ist in fast allen Autokratien oder Diktaturen Angst ein Thema: Angst wird genutzt, um uns zu lenken. Und das ist absolut gefährlich.
Gilt das auch für Firmenchefs und -chefinnen? Es gibt ja Bosse, die in ihrer Führungsstrategie auf Angst setzen, etwa indem sie das Gefühl streuen, der Arbeitsplatz wackelt. Gott sei Dank sind diese Chefs eher im Aussterben. Aber ja, sie gibt es. Und sie haben nicht verstanden, dass jemand, der unter Angst arbeitet, auf Dauer nicht die Leistung bringt. Cortisol kann zwar kurzfristig etwas Aktivierendes haben, aber wenn es zum Dauerthema wird, werde ich schlapp und ich ziehe mich zurück. Oder ich gehe in den Kampfmodus, wenn ich das Gefühl habe, ich könnte der Nächste sein, der seinen Job verliert. Da wechseln sich dann Extreme ab: Ich will leisten, mache aber Fehler. So komme ich in eine Spirale, die sich nur nach unten dreht. Dazu spricht sich ja schnell rum, dass in einem Unternehmen mit Angst gearbeitet wird - und da überlegen sich die Leute drei Mal, ob sie dort wirklich arbeiten wollen. Angst ist überall der schlechteste Berater - für Chefs und für Mitarbeiter.
Aber wie soll man denen entgegentreten, die Angst säen? Auch da braucht es zunächst eine Realitätskontrolle: Wie realistisch ist das Szenario, vor dem ich Angst habe? Dann muss ich mich fragen, was mein Aufgabenbereich ist, und mir gesunde Grenzen setzen. Zudem sollte ich den Kontakt zu anderen suchen: Wie geht es denen damit? Können wir uns im Team dagegenstellen? Ich sollte mir Unterstützung in den eigenen Reihen holen, aber auch von außen - zum Beispiel von einem Coach oder der Arbeiterkammer. Dazu sollte ich viel Ausgleich im Alltag finden, damit ich mich wieder erholen kann.
Im Grunde haben Sie soeben beschrieben, wie die Welt mit Donald Trump umgehen könnte - nur ohne Arbeiterkammer … Ja, irgendwie schon. Wolodymyr Selenskyj ist für mich ein gutes Beispiel: Der war so richtig arm, als Trump ihn im Weißen Haus in die Falle gelockt hat. Aber was hat er getan? Er ist ruhig geblieben, ist zurückgefahren, hat geschaut, wer ihm helfen könnte - und so hat sich eine neue Allianz gebildet.
Dass Trump bei den Zöllen zurückgerudert ist, hat sicher auch damit zu tun, dass ihm bewusst wurde, dass er von anderen Ländern abhängig ist. Mächtige Menschen glauben gerne, über allem und jedem zu stehen - im Endeffekt sind wir aber alle voneinander abhängig.
Maria Trigler ist klinische Psychologin und Psychotherapeutin sowie Leiterin des psychologischen Dienstes (Abteilung Psychiatrie) am Kardinal-Schwarzenberg-Klinikum in Schwarzach.