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Jeder Dritte erkrankt irgendwann im Gehirn

Demenz, Migräne, Schlaganfall & Co. werden unterschätzt, klagen Experten. Ein Lösungsansatz liegt in der Schulzeit.

Neurologische und psychiatrische Erkrankungen sind ein oft unterschätztes Problem.
Neurologische und psychiatrische Erkrankungen sind ein oft unterschätztes Problem.

33 Prozent der Bevölkerung, also jeder und jede Dritte, leiden an einer neurologischen oder psychischen Krankheit. In der EU sind das 220 Millionen Menschen. Erkrankungen des Gehirns nehmen uns 13 Prozent der gesunden Lebensjahre und verursachen 19 Prozent der Todesfälle in der EU. Allein neurologische Erkrankungen verursachen in der WHO-Region Europa (zu der auch die Türkei und die Staaten der Ex-Sowjetunion zählen, Anm.) pro Jahr Kosten von mehr als 300 Milliarden Euro. Rechnet man das psychiatrische Spektrum mit ein, sind es 798 Milliarden. Damit sind diese Kosten höher als jene für Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Diabetes.

Bei der Gesundheitsversorgung gibt es auch hier noch Potenzial

Diese Fakten wurden diese Woche bei einer Veranstaltung zum Thema "2021 bis 2032: Eine neue Dekade des Gehirns" in Salzburg präsentiert. Hintergrund ist die gleichnamige Strategie der Weltgesundheitsorganisation WHO, wie Eugen Trinka, SALK-Neurologie-Primar und Präsident der Salzburger Ärztegesellschaft, erläuterte.

Wolfgang Grisold, Präsident des Neurologieweltverbands, zeigte die globale Sicht auf: Obwohl eine gute Gesundheitsversorgung auf Platz drei der 17 UN-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, kurz: SDGs) liege, gebe es hier viel Potenzial - nicht nur in Afrika. "Auch etwa in Irland gibt es nur 15 Neurologen für sieben Millionen Einwohner", ergänzte Thomas Berger, Vorstand der Uniklinik für Neurologie an der MedUni Wien. Berger ortet mit Verweis auf den Österreichischen Neurologie-Report 2022 auch bei uns Aufholbedarf: Eine Million Menschen leidet hierzulande unter Migräne, 150.000 sind an Alzheimer-Demenz, 80.000 an Epilepsie erkrankt. Dazu kommen 26.000 Schlaganfälle pro Jahr sowie 14.000 Multiple-Sklerose-Patienten.

Trinka sieht auch in Salzburg Probleme: "Ich habe Menschen erlebt, die 20 Computertomografien erhielten - aber keine einzige Magnetresonanztomografie (MRT, Anm.), obwohl sie schon fünf Jahre eine Epilepsie hatten und das MRT hier das beste Diagnosemittel ist."

Eugen Trinka ist Leiter der Klinik für Neurologie, neurologische Intensivmedizin und Neurorehabilitation am Uniklinikum Salzburg sowie Präsident der Salzburger Ärztegesellschaft.
Eugen Trinka ist Leiter der Klinik für Neurologie, neurologische Intensivmedizin und Neurorehabilitation am Uniklinikum Salzburg sowie Präsident der Salzburger Ärztegesellschaft.

Rechtzeitige Prävention könnte Fallzahlen verringern

Er betont zudem einige Zusammenhänge: "25 Prozent der Schlaganfallpatienten entwickeln im Jahr danach einen epileptischen Anfall, an die 20 Prozent der Alzheimer-Patienten ebenfalls - wenn man einen epileptischen Anfall als solchen erkennt." Trinka setzt bei der Prävention auch auf neue Berufe wie Demenztrainer.

Die Bedeutung der Prävention betonte ebenso Claudio Bassetti, Dekan der Medizinischen Fakultät in Bern: "40 Prozent der Demenz- und 40 Prozent der Schlaganfälle sowie 25 Prozent der Epilepsie-Fälle wären vermeidbar, wenn die Prävention rechtzeitig startet." Wichtig sei, gesund zu essen, genug zu schlafen, Sport und soziale Kontakte zu pflegen sowie kognitiv aktiv zu bleiben. Auch die Politik ist laut Trinka gefragt: "Wir brauchen die tägliche Turnstunde und bis 2030 doppelt so viel Geld für neurologische Forschung." Denn fix sei, dass sich in der EU bis 2050 die Zahl der über 80-Jährigen verdoppeln werde. Grisold fordert auch mehr öffentliche Mittel für ärztliche Fortbildungen: "Denn die dürfen nicht nur von der Pharmaindustrie gesponsert werden, die ihre eigenen Interessen hat."

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