SN.AT / Panorama / Wissen

"Typischer Altersdiabetes tritt bereits bei Jugendlichen auf"

Friedrich Hoppichler erläutert, warum Diabetes mittlerweile eine Volkskrankheit ist, was man dagegen tun kann und welchen Beitrag die derzeit schwer erhältlichen Abnehmspritzen leisten.

Typ-2-Diabetes betrifft immer mehr junge Menschen, warnen Experten.
Typ-2-Diabetes betrifft immer mehr junge Menschen, warnen Experten.

800.000 Menschen in Österreich, also jeder und jede Elfte, leiden an Diabetes. Dazu kommen 300.000 Menschen mit Prädiabetes, einer Vorstufe der Krankheit. Für Primar Friedrich Hoppichler, den ärztlichen Leiter des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Salzburg und Vorstand des präventivmedizinischen Zentrums SIPCAN, liegt die Ursache für diese hohen Zahlen auf der Hand: "Übergewicht und Adipositas sind hier wesentliche Treiber." Jeder und jede Zweite in Österreich habe ein Gewichtsproblem - und daher ein erhöhtes Diabetesrisiko, erklärt der Internist, Endokrinologe und Kardiologe. Hintergrund sei die Insulinproduktion des Körpers: "Wenn jemand laufend zu viel isst, zunimmt und sich nicht bewegt, schüttet der Körper mehr Insulin aus, um den zu hohen Blutzuckerspiegel auszugleichen. Irgendwann schafft das die Bauchspeicheldrüse nicht mehr, und zudem wirkt das Insulin bald nicht mehr in dem Ausmaß blutzuckersenkend, weil die Zellen dagegen resistent geworden sind." Als Folge der Insulinresistenz steigt der Blutzuckerspiegel dauerhaft an; das führt zu Problemen.

Bei schlecht behandeltem Diabetes steige daher das Risiko für Arteriosklerose, Gefäßerkrankungen wie Herzinfarkt und andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie etwa Schlaganfälle massiv, sagt Hoppichler. Auch Augen- und Nierenerkrankungen ("manche Diabetiker werden Dialysepatienten"; "andere erblinden") würden gehäuft auftreten, ebenso wie neurologische Erkrankungen, sogenannte Polyneuropathien. Zudem beeinträchtige die Insulinresistenz auch den Fettstoffwechsel, sagt Hoppichler: "Das kann über Arterienverkalkung zu starren Gefäßen und Bluthochdruck führen. Dann sprechen wir vom metabolischen Syndrom."

Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO wird sich die Zahl der Diabetiker weltweit bis 2050 mehr als verdoppeln; auch für Österreich rechnet Hoppichler bis dahin mit einer weiteren starken Zunahme. Ursache des globalen Negativtrends ist laut WHO die Zunahme von Fehlernährung nach westlichem Vorbild: Gemeint sei etwa der vermehrte Konsum von Fastfood und fett- und zuckerhaltigen verarbeiteten Lebensmitteln, sagt Hoppichler.

Was ihm Sorge macht, ist die Tatsache, dass der sogenannte Altersdiabetes - medizinisch Typ-2-Diabetes genannt - schon bei jungen Österreichern zunimmt: "Der tritt mittlerweile schon bei Jugendlichen auf, wenn diese stark übergewichtig sind." Es gibt aber auch gertenschlanke Menschen, die an Diabetes leiden. Wie ist das möglich? "Das sind meist Typ-1-Diabetiker", erklärt Hoppichler. Bei diesem Diabetes-Typ, der eine Autoimmunerkrankung ist und mitunter genetisch bedingt sein kann oder durch eine virale Infektion erworben wird, leidet der Körper an einem absoluten Insulinmangel.

Diagnostiziert werden beide Diabetesarten primär über die Analyse des Nüchternblutzucker-Werts: Nüchtern gilt man ab 126 Milligramm pro Deziliter Blut als Diabetiker. Eine Alternative ist der orale Glukosetoleranztest, um so versteckte Diabetiker zu erfassen, etwa bei Personen mit Prädiabetes. Bei diesem Test trinkt man eine standardisierte Zuckerlösung. Hoppichler: "Die Frage ist, ob es das körpereigene Insulin dann schafft, den gestiegenen Blutzuckerspiegel binnen zwei Stunden zu senken." Alternativ kann die Diagnose durch den Zuckerlangzeitwert, den sogenannten HbA1c-Wert, im Blut gestellt werden. Dieser gibt den Anteil des verzuckerten Hämoglobins im Blut an. Ab einem Wert von 6,5 Prozent spricht man auch hier von Diabetes.

Seit 2018 sind in der EU von der Arzneimittelbehörde EMA Präparate mit dem Wirkstoff Semaglutid zugelassen. Das bekannteste von ihnen stammt vom dänischen Hersteller Novo Nordisk und ist unter den Markennamen Ozempic bzw. Wegovy erhältlich. Diese Medikamente in Spritzenform helfen beim Abnehmen; aufgrund des Hypes um sie sind sie aber derzeit teils nur schwer erhältlich. Der Experte erklärt die Wirkungsweise dieser sogenannten GLP-1-Rezeptor-Agonisten so: "Sie ahmen Hormone nach, die wir im Dünndarm haben und die für das Sättigungsgefühl verantwortlich sind. Sie wirken über den Darm, aber auch über eine Rückkoppelung ins Gehirn. Konkret bewirken sie eine Verzögerung der Magenentleerung." Dadurch halte das Sättigungsgefühl länger an; der Appetit werde gezügelt. Zudem senkten die Präparate auch den Blutzuckerspiegel: "Diabetiker durchbrechen dadurch die Insulinresistenz: Das eigene Insulin wirkt wieder und die Diabetiker nehmen so oft bis zu 10 Kilo ab."

Die primäre Empfehlung des Experten ist aber, es bei Anzeichen von Diabetes gar nicht so weit kommen zu lassen: "Man sollte den Konsum von Zucker, hochverarbeiteten Lebensmitteln wie Schokolade und Fertigpizzen etc. einschränken und zuckerhaltige Getränke meiden." Wenn man stattdessen mehr Obst, Gemüse und Vollkornprodukte esse und sich mehr bewege, sinke das Diabetesrisiko - um bis zu 32 Prozent: "Empfohlen sind 150 Minuten Sport pro Woche bei mittlerer Intensität - oder 75 Minuten mit hoher Intensität. Und zwei Mal in der Woche sollte man muskelkräftigende Übungen mit Bändern oder Sit-ups machen."