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Was gegen einen englischen Rasen spricht

Gerade im Sommer sollten Gärtnerinnen und Gärtner ihren Tatendrang einschränken, raten Experten. Das bringe viele positive Effekte - auch für den Gärtner selbst.

Die Gartenpflanzen sollten wuchern.
Die Gartenpflanzen sollten wuchern.

Wessen Herz schlägt nicht schneller bei der Vorstellung eines idyllischen Gartens, in dem man sein eigenes ästhetisches Empfinden umsetzen kann - sei es in Form eines Gemüsebeets oder einer eigens gepflanzten Blütenlandschaft? Wo Kind und Kegel zusammenkommen und Vogelgesänge den Ausgleich zum Lärm des Alltags schaffen? Doch diese Idealvorstellung wird zumeist von der Realität lauter Rasenmäher und schreiender Nachbarskinder durchbrochen - und die singenden Vöglein suchen schnell das Weite.

Rainer Wagenhofer widmet sich dem Thema des biodiversen Gartens nicht nur als Biologie- und Philosophielehrer an einem Linzer Gymnasium, sondern auch im Privatleben: Seit jeher versucht er sich an einem Habitat, welches der Idealvorstellung eines für alle Lebewesen gesunden Stücks Natur nahekommt. Er strebe danach, Tieren und Pflanzen einen idealen Lebensraum zu schaffen, "um der Verantwortung gerecht zu werden, die man als Gartenbesitzer auf sich nimmt". Für ihn sei es bedenklich, "dass man in Österreich für viele Dinge eine Ausbildung, einen Schein benötigt, nicht aber für den Besitz eines Gartens". Man könne die Natur im Rahmen des eigenen Gartens und darüber hinaus ernsthaft gefährden, ist Wagenhofer überzeugt. Bedeutend sei es daher, sich stärker nach dem Rhythmus der Natur zu richten als nach sogenannten Gartentrends, die tatsächlich oftmals nicht förderlich für die Ökologie seien.

Der zyklische Ablauf verlange "grob gesagt: das Ernten von Obst im Frühherbst, das Setzen von Bäumen und Sträuchern im Spätherbst. Im Winter wird im Wesentlichen das Frühjahr geplant, indem man sich Fragen stellt wie ,Was möchte ich im Garten verändern? Was muss ich dafür besorgen?'" Ab Jänner empfehle sich der Baumschnitt, im Gemüsebeet ließen sich zudem bereits langsam erste Pflanzen ziehen. "Das Frühjahr schließlich erfordert die intensivste Arbeit im Garten: Blumen werden ausgesetzt, Rosen geschnitten, der Rasen gemäht und so fort." Rainer Wagenhofer betont, dass Gärten, angesichts dessen, wie viel Arbeit man in sie investiert, als Chance gesehen werden sollten, die Natur besser zu schützen. Und das ohne, wie in der Landwirtschaft üblich, an Umsätze denken zu müssen: "Gärten können uns selbst, aber eben auch vielen Lebewesen Schutz bieten, das Fernbleiben von Vögeln etwa ist ein Zeichen, dass es der Natur nicht gut gehen kann." Tiere werden im Garten oft als störende Mitbewohner wahrgenommen, sagt Wagenhofer, der wegen der gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit, mit welcher Insektengifte gestreut und giftige Pflanzenarten gesät werden, besorgt ist. "Ameisenköder im Garten etwa verhindern, dass man niemals Grünspechte in ihrer Farben- und Gesangspracht sehen und hören wird."

Ebenso bedenklich findet Wagenhofer, dass man häufig hochallergene Pflanzen wie den Götterbaum oder die Kanadische Goldrute in heimischen Gärten vorfinde, die nur dem wirtschaftlichen Druck entsprungen seien, ständig neue Trends zu schaffen, neue Pflanzenarten aus Gebieten jenseits von Europa zu importieren - ungeachtet dessen, ob sie schädlich seien und heimische Pflanzen verdrängten.

Doch woher kommt das Bedürfnis, lieber der neuesten Gartenmode zu folgen, anstatt umweltbewusst zu agieren? Der an der Johannes-Kepler-Universität in Linz lehrende Soziologe Dimitri Prandner sieht als mögliche Ursache dafür das menschliche Grundbedürfnis, sich selbst zu verwirklichen. Dieses mache sich eben auch bei der Gestaltung des Gartens bemerkbar, in welcher sich "ästhetisches Empfinden" oder etwa das "Streben nach Subsistenz" (Gemüsebeet) widerspiegeln. "Man möchte den Garten möglicherweise als privat designtes Grundstück verwirklicht sehen", denkt Prandner. Daher könne etwa die Tendenz kommen, Steinböden zu verlegen anstatt Bäume zu pflanzen. Und das gipfle in dem Bedürfnis, Statussymbole zu transportieren, aber auch Werte wie Fleiß und Ordnung. Oder wie es Prandner anhand der Mehrdeutigkeit des Freiheitsbegriffs festmacht: Einerseits wollten viele den eigenen Garten hart abgrenzen und sich nicht oktroyieren lassen, wie sie diesen gestalten. Andererseits sei ihnen wichtig, wie dieser bei anderen wirke.

Biologie- und Philosophielehrer Wagenhofer rät: Man sollte die Natur nur sanft lenken und pflegen, mit dem Ziel, ihr nicht unaufhörlich neue Trends aufzuzwingen. Und ein solcher weitgehend unberührter Sommergarten bringt noch etwas Positives mit sich: Genuss. Oder in den Worten des österreichischen Schriftstellers Heimito von Doderer: "Alles ist dicht verwachsen, wuchernd und rund gekuppelt im Laube. Man kann nicht viel mehr tun als den Honig in seine Schale fließen zu lassen, wenn man so glücklich ist, gerade eine frei zu haben."