Zehntausende, vor allem junge Leute versammelten sich am Dienstagabend vor dem Bundeskanzleramt in der Wiener Innenstadt, um gegen eine blau-schwarze Koalition zu protestieren. "Fix zam gegen Blau-Schwarz", "Blau-Schwarz den Marsch blasen" - so lautete das von den Veranstaltern ausgegebene Motto. "Ganz furchtbar finde ich das", sagte eine Frau zu der möglichen Koalition von FPÖ und ÖVP. Ob diese Zusammenarbeit überhaupt zustande kommt, ist wegen der äußerst kontroversen Verhandlungen noch völlig offen. Sogar ein Stopp der Verhandlungen stand am Abend im Raum. Für die Demonstranten stand jedenfalls fest: Diese Koalition darf nicht kommen. "Kickl ist ein Nazi", stand auf vielen Transparenten zu lesen, oder "Nazis raus aus dem Parlament". Die bekannten "Omas gegen Rechts" waren unter den Demonstranten zu sehen, aber auch "Swifties gegen Rechts".
Die Demonstrationen fanden an einem historischen Datum statt: Am 4. Februar 2000 demonstrierten in Wien 150.000 Menschen gegen die schwarz-blaue Wenderegierung, die an diesem Tag angelobt wurde. Dies war die Geburtsstunde der "Donnerstagsdemonstrationen", die fortan die schwarz-blaue Regierung begleiteten und die - wenn auch an einem Dienstag - nun wiederbelebt wurden.
Es ist nicht die erste Demonstration heuer in Wien: Als die ÖVP Anfang Jänner in Regierungsverhandlungen mit den Blauen eintrat, gab es bereits eine Protestkundgebung. Und auch gegen den Wahlsieg der FPÖ bei der Nationalratswahl im Herbst hatte es Proteste gegeben. An beiden Kundgebungen nahmen Zehntausende Menschen teil.
Am Nachmittag waren wieder die Parteichefs der verhandelnden Parteien, Herbert Kickl und Christian Stocker, zu einem klärenden Gespräch zusammengetroffen. Einige der Untergruppen haben bereits ihre Verhandlungen abgeschlossen, einige andere werden am Mittwoch zusammentreffen.
Politologe Peter Filzmaier verwundert, dass unter Blau-Schwarz Grundregeln beim Verhandeln ebenso missachtet würden wie bei den davor gescheiterten Dreierverhandlungen. Er meint damit, dass einzelne Verhandlungspositionen gezielt in der Öffentlichkeit platziert würden. Dies solle Druck erhöhen, berge aber stets das Problem, dass die Kompromissfindung dabei erheblich erschwert werde.
Tatsächlich ließ die FPÖ vor über einer Woche durchsickern, dass sie eine Bankenabgabe fordere - ein Begehr, das die ÖVP gegenüber der SPÖ barsch abgelehnt hatte. Die ÖVP wieder richtete der FPÖ aus, "in die Mitte rücken zu müssen", und forderte verbindliche Regeln im Umgang mit Entscheidungen auf EU-Ebene.
Den Eindruck, dass die Parteien in Wahrheit gar nicht regieren wollen, teilt Filzmaier nicht. "Das Regieren ist derzeit zweifellos nicht dankbar." Aber für die FPÖ biete sich die historische Chance, den Kanzler zu stellen. Und die ÖVP legte sogar eine 180-Grad-Wende hin, um zumindest als Juniorpartner unter einem FPÖ-Kanzler Kickl weiter regieren zu können.