SN.AT / Politik / Innenpolitik

Corona: Studie zeigt Lehren für künftige Krisen auf

Auf 177 Seiten listen Forscher der Akademie der Wissenschaften die Fehler und Lehren aus der Coronapandemie auf.

Pressekonferenz der Bundesregierung am Donnerstag.
Pressekonferenz der Bundesregierung am Donnerstag.
Pressekonferenz der Bundesregierung am Donnerstag.
Pressekonferenz der Bundesregierung am Donnerstag.
Pressekonferenz der Bundesregierung am Donnerstag.
Pressekonferenz der Bundesregierung am Donnerstag.
Pressekonferenz der Bundesregierung am Donnerstag.
Pressekonferenz der Bundesregierung am Donnerstag.

Welche Fehler wurden bei der Bekämpfung der Pandemie gemacht? Was kann man aus diesen Fehlern für künftige Krisen lernen? Zur Beantwortung dieser Fragen hat die Bundesregierung eine Forschungsgruppe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eingesetzt, die nun ihre abschließende Studie vorgelegt hat.

Der Leiter der Forschungsgruppe, Alexander Bogner, nannte als zentrales Problem die Polarisierung, die während der Pandemie in der Bevölkerung entstand. Er nannte gleich auch das Mittel, wie man eine solche Polarisierung in den Griff bekommt: Er veranstaltete im Zuge der Studie in ganz Österreich moderierte Dialoge zwischen ehemaligen Maßnahmengegnern und -befürwortern, bei denen diese ihre Argumente austauschten und diskutierten, statt einander mit der Moral zu kommen. Das nahezu unglaubliche Ergebnis: 40 Prozent der Teilnehmer gaben danach an, ihre bisherige Meinung überdacht zu haben.

Im Folgenden die fünf großen Themen, die von den Forschern unter die Lupe genommen wurden.

Impfpflicht

Die Impfpflicht ohne vorhergehende breite Diskussion plötzlich zu beschließen war aus Sicht der Wissenschafterin und der Wissenschafter der größte politische Fehler. Vor allem, weil sie "als einzig rationale Reaktion auf einen Sachzwang dargestellt" worden sei, der sich aus der niedrigen Impfquote ergab. "Diese Rhetorik der Alternativlosigkeit trug letztlich zu einer moralischen Aufladung der Impfthematik bei", heißt es in dem 177 Seiten starken Bericht. Und weiter: "Die Moralisierung der Impfung hat maßgeblich zur Polarisierung beigetragen."

Richtschnur für künftige Krisen sollte sein: Debatten fördern, auch wenn sich bei manchen Themen nie Konsens finden lassen wird. Als oberstes Motto für die Politik müsse gelten: "Begründen, nicht verkünden", zumal andernfalls das Vertrauen für lange Zeit leide. So verlockend es für die Politik auch sein möge, zu Maßnahmen zu greifen, die "mit einem Schlag ein Ende der Krise versprechen": Vor derartigen "heroischen Maßnahmen" müsse eindringlich gewarnt werden, da sie der Komplexität nur in den seltensten Fällen gerecht werden könnten.

Schule

Hoch gingen die Emotionen während der Pandemie auch aufgrund der vielen Schullockdowns. Der wissenschaftliche Befund über die damalige Vorgangsweise lautet nun: Die Politik der Schulschließungen und zaghaften -öffnungen habe in einem "überwiegenden Prozess des Durchwurschtelns" stattgefunden. Den Takt dafür hätten vorwiegend die Infektionszahlen und die virologische Expertise angegeben. Das sei aber zu wenig.

Für vergleichbare Situationen wird geraten: Entscheidungs- und Beratungsgremien müssten fachlich vielfältig besetzt werden, im konkreten Fall müssten Sozial- und Bildungsexperten zugezogen und auch gehört werden. Zudem sollte es möglich sein, dass neue Erkenntnisse laufend einfließen und auch berücksichtigt werden. Wörtlich wird zu "Prozessen der Selbstkorrektur und der Reflexion" geraten.

Beratung

Die Beratung der Politik durch die Wissenschaft sei eine heikle Angelegenheit, die "Spannungen und Fallstricke" enthalte, heißt es in dem Bericht. Die große Frage sei: Wie können Politik und Wissenschaft in Krisenzeiten zusammenarbeiten, ohne sich gegenseitig zu instrumentalisieren?

Empfohlen wird einmal mehr eine Beratung aus verschiedenen Disziplinen und Blickwinkeln. Bei allem Verständnis, dass Politik mitunter extrem rasch entscheiden müsse - "Raum für inhaltliche Auseinandersetzung" müsse möglich sein. Ferner wird ausgeführt, dass die Pandemie nicht nur für die Politik, sondern auch für Fachleute ein Sprung ins kalte Wasser gewesen sei. Für die Bewältigung künftiger Krisen wäre ein vorbereitendes Beratungstraining für Wissenschafterinnen und Wissenschafter gut, das weit über Kommunikations- und Medienschulungen hinausgehen müsse. Und klargestellt müsse werden: Im Fall einer Krise müssten Expertinnen und Experten freigestellt und die notwendigen Daten zur Verfügung gestellt werden.

Skepsis

Die Untersuchung hat gezeigt, dass der harte Kern der Wissenschaftsskeptiker zwar laut, aber relativ klein ist: Nur 14 Prozent sind stark wissenschaftsskeptisch, während 27 Prozent stark wissenschaftsaffin sind. Dazwischen: die große "distanzierte Mitte". Ihr Abrutschen in die Skepsis müsse verhindert werden, rät der Bericht. Dafür müsse das Verständnis für Wissenschaft erweitert und die politische Bildung gestärkt werden, weil die grundsätzliche Skepsis Hand in Hand mit der Skepsis gegenüber Politik und Medien gehe.

Gerade bei "stark verwissenschaftlichten Kontroversen wie Corona und Klimafragen" werde Wissenschaft leicht zum Gegenstand politisch motivierter Abwertung. Die Unterstellung: Sie agiere nicht unabhängig. Dem müsse begegnet werden.

Medien

Der Befund der Forscherin und der Forscher lautet: Am Anfang der Pandemie sei das Vertrauen in Traditionsmedien noch sehr hoch gewesen, dann sank es systematisch - parallel mit dem Vertrauen in die Politik, in die Wissenschaft und in wesentliche Institutionen des Staates. Der Hauptvorwurf gegen die Medien lautete, sie trügen mehr zur Eskalation denn zur Aufklärung bei.

Die Empfehlungen der Wissenschaft an die Medien lauten: Vertrauen schaffen, positiv denken, nicht ausschließlich Extreme abbilden, sondern handlungs- und lösungsorientiert arbeiten. Zu mehr Glaubwürdigkeit des Journalismus könnte ein ehrliches Fehlermanagement beitragen. Und: Die Medien sollten auf das Bedürfnis ihrer Konsumentinnen und Konsumenten nach mehr Austausch eingehen.

Nehammer: "Mit dem Wissen von heute würden wir vieles anders machen"

Ja, es seien Fehler passiert. Aber man dürfe die damals gesetzten Coronamaßnahmen nicht nach dem heutigen Wissensstand beurteilen, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bei der Präsentation des Coronaberichts. "Mit dem Wissen von heute würden wir vieles anders machen."

Man dürfe nicht vergessen, dass man mit dem Virus eine unbekannte Größe zu bekämpfen hatte, erinnerte Nehammer. Die in ihrer Gefährlichkeit und Infektiosität unterschiedlichen Virusvarianten hätten einander schnell abgewechselt und oft die politischen Beschlüsse überholt. Viele Prognosen seien schlimmer gewesen, als es dann kam.

Oberstes Ziel der Regierung sei es gewesen, Menschenleben zu retten, die Spitäler vor dem Kollaps zu bewahren und den Staat am Laufen zu halten, sagte der Kanzler. Diese Ziele könnten die gemachten Fehler nicht entschuldigen, aber erklären. Alles sei aus Sorge um die Menschenleben geschehen, nicht aus Gründen irgendeiner Verschwörung. Und was würde er heute anders machen? Vor allem müsse die Regierung in solch heiklen Situationen behutsam formulieren, sagte Nehammer, der zu Beginn der Pandemie noch als Innenminister erklärt hatte, die Infektionsketten "mit der Flex" zu durchtrennen.

Zweitens brauche es ein Höchstmaß an Transparenz und Erklärungen, wenn es um einschneidende Maßnahmen gehe. Und drittens, so sagte Nehammer, hätte man alles tun müssen, damit nicht Maßnahmengegner und -befürworter (die übrigens in der großen Mehrheit gewesen seien) gegeneinander kämpfen, sondern alle gemeinsam gegen das Virus. Konkret nannte der Bundeskanzler fünf Lehren, die aus Corona gezogen würden:

Erstens die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit gegen Krisen durch das Krisensicherheitsgesetz. Zweitens die geplante Installierung eines zentralen Krisenkommunikators. Drittens Maßnahmen gegen die spürbare Wissenschaftsfeindlichkeit. Viertens Schritte zur Hebung des Personalstandes im Gesundheits- und Pflegewesen. Und fünftens die Verbesserung der Datenlage im Gesundheitswesen.

Die FPÖ reagierte empört auf die Aussagen Nehammers. Parteichef Herbert Kickl sprach von einem Verhöhnungsprozess für alle Opfer des Coronawahnsinns.

Die Pressekonferenz zum Nachschauen: