Ist eine Regierungsbeteiligung all die Kompromisse und inhaltlichen Einschränkungen wert, die ein Juniorpartner eingehen muss? Diese Frage stellten sich die Neos gleich zu Beginn ihrer Koalitionsverhandlungen mit ÖVP und SPÖ. Stephanie Krisper, langjährige Nationalratsabgeordnete und Vize-Klubchefin, beantwortete sie am Freitag überraschend mit Nein. Sie kündigte in einer öffentlichen Erklärung an, ihr Mandat im Parlament zurückzulegen.
Ihre Beweggründe zeigen, wie heikel die Koalitionsarbeit für die Neos ist. Denn Krisper findet, dass sich ihr Wirkungsbereich mit der pinken Regierungsbeteiligung „derart reduziert“ habe, „dass ich keinen Sinn in meiner parlamentarischen Tätigkeit mehr sehe“. Ihr sei „natürlich klar“, dass es in einer Koalition Kompromisse brauche: „Aber bei meinen Herzensthemen sind nicht nur die Abstriche sehr groß. Es kam auch zu Veränderungen in der Haltung bei Neos als Regierungspartei.“
„Wie viel bleibt von unserer Haltung?“
Am eindrücklichsten sei dies beim Stopp der Familienzusammenführung und der Messengerüberwachung gewesen. Für sie sei „Grundsätzliches wesentlich“, betonte Krisper: „Wie viel bleibt von unserer Haltung für Menschenrechte und Rechtsstaat? Respektieren wir die Verfassung oder reizen wir die Grenzen, die sie uns setzt, zu sehr aus?“ Und: „Geben wir populistischem Druck nach und senden dadurch die falschen Signale? Da hat sich viel verschoben.“ Zudem vermisse sie „Mut zu einem klaren Gegenkonzept zur FPÖ“.
Dass Krisper mit der inhaltlichen Linie der Neos in diesen Punkten unglücklich war, zeigte sie schon im Parlament. Zusammen mit Nikolaus Scherak stimmte sie gegen die Einführung der Messengerüberwachung, auch den Stopp beim Familiennachzug von Geflüchteten kritisierte sie stark. Die Themen Asyl, Migration und Rechtsstaat waren immer ein Schwerpunkt von Krispers politischer Arbeit. Die Juristin arbeitete als Rechtsberaterin für Flüchtlinge, dann als Menschenrechtsexpertin im Außenministerium. Dass die Neos bei diesen Punkten ihren Kurs änderten, zeigte sich auch bei der Aufteilung der Zuständigkeiten im Parlament. Krisper gab in dieser Legislaturperiode die Themen Asyl und Migration an Klubchef Yannick Shetty ab und war nur noch für Justiz verantwortlich.
Für die Neos ist der Abgang schmerzhaft, auch wenn Krisper Mitglied der Partei und des Erweiterten Bundesvorstands bleibt. Krisper war eine Unterstützerin der ersten Stunde, seit dem Jahr 2012 engagierte sie sich bei den Neos. Sie könnte vielen Mitgliedern aus der Seele sprechen, die die pinke Handschrift in der Regierungsarbeit vermissen – und die fürchten, dass die Ideale der Neos mit Schwarz und Rot verblassen.
Denn im Wahlkampf hatten die Neos lautstark für eine große Reform der Kompetenzverteilungen im Land, bei Pensionen und im Gesundheitswesen plädiert. Doch diese Pläne umzusetzen, ist schwierig, denn erstens muss sich die Partei mit ÖVP und SPÖ einig werden. Und zweitens würde es dauern, bis diese Maßnahmen tatsächlich greifen können. Doch die Ungeduld in Teilen der Neos-Anhängerschaft steigt.
Krisper machte sich als pinke Aufdeckerin einen Namen
Immerhin: In den Regierungsfraktionen könnten einige recht glücklich über Krispers Abgang sein. Vor allem in den Reihen der ÖVP war sie nicht gut angeschrieben, nachdem sie in den vergangenen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen die Rolle der pinken Aufdeckerin übernommen und dabei vor allem auch die Kanzlerpartei ins Visier genommen hatte. Für den kommenden U-Ausschuss war Krisper aber ohnehin nicht mehr vorgesehen, sondern die jüngste Mandatarin der Neos, Sophie Wotschke.
Neos danken für „Engagement“
Und was sagen die Neos zu dem Abgang? „Nein, wir sind nicht aufgesprungen und haben gejubelt, im Gegenteil, aber wir müssen die Entscheidung respektieren“, meint der Salzburger Landesparteichef und Staatssekretär, Sepp Schellhorn, zu den SN. „Jeder Abgang tut weh, so wie in der Privatwirtschaft, wenn eine Führungskraft geht. Und Steffi Krisper war, wenn ich es damit vergleiche, eine Führungskraft in ihrer Expertise und Kompetenz.“ Die Koalitionsarbeit verteidigt Schellhorn allerdings: „Würden wir alleine in der Regierung sitzen, hätten wir kantigere Positionen, in einer Dreierkoalition kriegt man nicht alles so durch, wie man es möchte.“ Nun müsse man mit harter Arbeit einen Beitrag leisten, dass sich die Situation verbessere. „Bisher war es die Zeit des Sanierens, jetzt kommt die Zeit des Reformierens. Ich habe immer gesagt, diese fünf Jahre sind jetzt die Zeit, in der wir liefern müssen.“
Ansonsten hielten sich die Neos am Freitag eher zurück: Klubchef Shetty dankte „Steffi Krisper für ihr jahrelanges Engagement im Sinne eines funktionierenden Rechtsstaats und einer unabhängigen Justiz“. Auf die inhaltliche Kritik seiner Parteikollegin ging er nicht ein.
Salzburgerin Lisa Aldali könnte Krisper folgen
Bereits jetzt gibt es intern bei den Neos Rechenspiele, wer der langjährigen Abgeordneten nachfolgen könnte. Ein Name steht dabei zumindest theoretisch weit oben: Lisa Aldali. Sie wäre rein rechnerisch die Nachfolgerin von Krisper. Wie das? Krisper zog eigentlich auf der Wiener Landesliste in den Nationalrat ein, trotzdem könnte eine Salzburgerin nachfolgen. Der Grund liegt darin, dass bei den Neos die Landeslisten gegenüber den Bundeslisten bevorzugt werden. Das bedeutet, dass auf Krispers Platz Michael Bernhard nachrutscht, der ist der Nächste auf der Wiener Landesliste. Er sitzt aber bereits auf einem Bundeslistenplatz im Nationalrat. Wenn er auf Krisper nachfolgt, wird also eigentlich ein Bundeslistenplatz frei. Und hier wäre die Nächste die Salzburger Neos-Politikerin Lisa Aldali. Sie wollte auf SN-Anfrage keine Stellungnahme abgeben.
Im Neos-Klub will man zur Nachfolge Krispers auch noch nichts Konkretes sagen. „Die Gremien werden in den kommenden Tagen zusammenkommen und darüber sprechen“, heißt es auf SN-Nachfrage. Stephanie Krisper „wird bis Ende Oktober Nationalratsabgeordnete bleiben, die Entscheidungen über die Nachfolge und die Übergabe ihrer Sprecherrollen werden wir in Ruhe in den kommenden Wochen gemeinsam vornehmen“.