Kurz: "Masken sind notwendig"
Nach zwei Wochen Notbetrieb betont Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Montag: "Wir stehen noch immer am Beginn eines Marathons." Es gebe nach wie vor viele Verharmloser, auch unter Experten. "Die Maßnahmen wirken, aber wir müssen die Ausbreitung in Österreich deutlich sinken." Kurz appellierte daher an die Bevölkerung, die sozialen Kontakte weiterhin zu minimieren. Als zusätzliche Maßnahme werde nun gezielt auf das Tragen von Schutzmasken gesetzt.
Ab Mittwoch sollen in den Supermärkten Masken an die Kunden ausgehändigt werden. Es handle sich dabei um einen Mund-Nasen-Schutz, der die Übertragung des Virus durch die Luft reduziert. Sowohl für die Angestellten als auch für die Kunden soll das Tragen verpflichtend sein, sobald die notwendigen Kapazitäten sichergestellt sind. Die Regierung rechne damit, dass dies ab Mittwoch der Fall sein werde. Die Handelsunternehmen stellen den Schutz für all jene zur Verfügung, die diesen nicht selbst mitbringen. Kunden dürfen das Geschäftslokal somit nur mit Maske betreten. Der Mund-Nasen-Schutz gehe anschließend in den Besitz des Kunden über. Ein Kostenbeitrag solle dafür freilich nicht verrechnet werden, stellte die Regierung am Montag sicher.
"Masken sind für unsere Kultur etwas Fremdes", sagt Kurz. Es werde daher eine große Umstellung mit sich bringen. Aber es sei notwendig. Ziel sei es, die Maske nicht nur im Supermarkt, sondern überall dort, wo Kontakt mit Menschen stattfindet, zu tragen, sagt Kanzler Kurz. Dies sei aber kein Ersatz für das Abstandhalten, sondern eine zusätzliche Maßnahme. "Es ist in erster Linie ein Schutz für andere. Seien wir solidarisch und halten uns an die Maßnahmen", bekräftigt der grüne Vizekanzler Werner Kogler. Oberstes Ziel sei es, die Kapazitäten des Gesundheitssystems nicht zu überspannen.
Dies könnte schon in zwei Wochen der Fall sein. Bundeskanzler Sebastian Kurz befürchtet, dass es bereits Mitte April zu Engpässen vor allem in der Intensivmedizin kommen könnte. Mit Stand 27. März waren in Österreich 1.071 Intensivbetten frei. Von mehr als 2.500 Beatmungsgeräten waren noch 908 verfügbar. Die Wahrheit sei, so der Kanzler: "Kein Gesundheitssystem der Welt kann eine zu schnelle Ausbreitung stemmen."
Weitere Maßnahmen im Handel: Handschuhe für alle Angestellten
Nicht nur Schutzmasken, auch Handschuhe sollen künftig für alle Angestellten im Lebensmittelhandel und in Drogeriemärkten bereitgestellt werden. Zudem seien Griffe von Einkaufswägen sowie von Gefrier- und Kühlregalen regelmäßig zu desinfizieren. Plexiglasscheiben an den Kassen sollen errichtet werden, wo noch nicht vorhanden. Außerdem solle das bargeldlose Zahlen bzw. "contactless pay" weitestgehend ermöglicht werden.
Es gebe auch einen Erlass für Stoßzeiten in Supermärkten, sagt Anschober. So dürfen nur noch Einzelpersonen die Geschäfte betreten. Der Mindestabstand von einem Meter müsse zwischen zwei Personen stets eingehalten werden. Bodenmarkierungen im Kassenbereich würden auf den nötigen Sicherheitsabstand aufmerksam machen.
Gefährdete werden beruflich freigestellt - Hotels schließen
Die Analyse der Daten sei eine sehr klare und einleuchtende, resümiert Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Montag: "Der Anstieg dieser Coronapandemie geht in einem besorgniserregenden Tempo voran." Daher seien weitere Erlässe notwendig. So sollen besonders gefährdete Personen wie Ältere noch diese Woche Empfehlungen zu ihrem Schutz erhalten. Vor allem jene mit Vorerkrankungen sollen verpflichtend vom Beruf freigestellt werden - oder, wo möglich, im Home Office arbeiten. Wie die betroffenen Personen bei einer Freistellung entlohnt werden, blieb vorerst offen. Eingestellt werde zudem die touristische Nutzung von Hotels. Diese hätten nun bis auf Weiteres zu schließen.
Nehammer: "Wer keinen Abstand hält, wird angezeigt"
Eine der wichtigsten Maßnahmen sei das Abstandhalten, bekräftigte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). "Jene, die sich nicht daran halten, werden angezeigt." Die Polizeipräsenz solle daher noch weiter erhöht werden. In Zukunft solle es auch möglich sein, Familienmitglieder mit Bankgeschäften zu betrauen. Er wies auch darauf hin, dass Geburtstagsfeiern erst nach der Coronakrise stattfinden sollten.
Mehr als 10.000 Anzeigen habe es in den vergangenen zwei Wochen laut Innenministerium gegen jene Personen gegeben, die sich nicht an die Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie gehalten hätten. Das Bilden von Personengruppen im öffentlichen Raum sowie das Nichteinhalten des Mindestabstands von einem Meter waren häufige Verstöße. Wer nach polizeilicher Abmahnung sein Fehlverhalten nicht einstelle, werde konsequent angezeigt, stellte der Innenminister am Montag klar.
Wie weit werden die Maßnahmen noch gehen?
Kanzler Sebastian Kurz antwortete auf die Frage nach weiteren angedachten Maßnahmen: "Wir sind schon bald am Ende der Fahnenstange, was unsere Maßnahmen betrifft." Österreich sei das erste westeuropäische Land, das derzeit auf das Tragen von Masken setze. Zum weiteren Fahrplan wurde Folgendes angedeutet: Schulen und Universitäten sollen in jedem Fall erst nach den Geschäften geöffnet werden. Auch Kogler betonte, dass man nach Ostern die Maßnahmen keineswegs lockern könne.
Weiters erklärte Kurz, dass man derzeit eine Stichproben-Testung bei 2.000 Personen mache. Damit werde man Ende der Woche abschätzen können, wie viele Personen tatsächlich infiziert sind. Auch beim medizinischen Personal werden entsprechende Testungen durchgeführt. Nächsten Montag wird sich die Regierung erneut an die Öffentlichkeit wenden, um die Entwicklung zu evaluieren.
Expertenprognose: Gesundheitssystem breche zusammen
Die Prognosen der Wissenschafter, die die Basis für die heutige Entscheidung der Regierung für die weitere Vorgangsweise zur Eindämmung der Corona-Epidemie in Österreich bildeten, gaben bereits im Vorfeld keinen Anlass zur Hoffnung auf Lockerung der Maßnahmen. In einem Expertenpapier, das den SN vorliegt, heißt es: Es benötige "deutlich strengere Maßnahmen als derzeit in Kraft sind." Das Gesundheitssystem breche sonst zusammen, warnen die Forscher.
Die alles entscheidende Größe in der Epidemie ist der Replikationsfaktor R0. Dieser gibt darüber Auskunft, wie viele Personen ein Infizierter im Durchschnitt wieder ansteckt. Ist der Replikationsfaktor kleiner als eins, klingt die Epidemie rasch ab, ist er größer als eins, verbreitet sich die Krankheit unweigerlich mit exponentieller Geschwindigkeit. "Wenn es nicht gelingt, rasch den Faktor R0 unter den Wert von 1 zu drücken, sind in Österreich Zehntausende zusätzliche Tote und ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu erwarten", heißt es in dem von Mathias Beiglböck (Uni Wien), Philipp Grohs (Uni Wien), Joachim Hermisson (Uni Wien, Max Perutz Labs), Magnus Nordborg (ÖAW), Walter Schachermayer (Uni Wien) mit Unterstützung der Rektoren Heinz Engl (Uni Wien) und Markus Müller (Med Uni) verfassten Expertenpapier.
Im Fall von Covid-19 entspricht ein Replikationsfaktor von eins einem täglichen Zuwachs von etwa sieben Prozent - liegt der Zuwachs höher, komme es zu einer exponentiellen Ausbreitung. Die derzeitige tägliche Zuwachsrate der Infizierten in Österreich wird von den Experten auf 14 Prozent geschätzt, am Anfang der Epidemie lag sie bei 30 Prozent. Hoffnung gibt den Experten zufolge das Beispiel von Wuhan, die chinesische Stadt, wo die Epidemie ihren Ausgang genommen hat. China habe es dort - in zwei Schritten - geschafft den Wert von R0 auf 0,32 zu drücken und die Krise sei dadurch innerhalb weniger Wochen bewältigt gewesen.