"Ich durfte in dieser Zeit viel lernen. Vor allem bedeutet aber die Spitzenpolitik auch ein ständiges Wechselbad an Gefühlen." Er habe vor allem in den vergangenen Monaten den Eindruck gehabt, gejagt zu werden, und meinte damit die Rücktrittsaufforderungen nach Bekanntwerden der Ermittlungen durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Dies habe seine Begeisterung für die Politik geschmälert. "Meine Leidenschaft für Politik ist sicher auch ein Stück weit weniger geworden. Auch wenn es dazugehört, dass man Vorwürfen ausgesetzt ist", so Kurz. Aber: "Es hat meine Flamme kleiner werden lassen", so der Ex-ÖVP-Chef. "Ich habe mein Bestes gegeben, aber ich habe sicher auch Fehler gemacht." Und: "Ich bin weder ein Heiliger noch ein Verbrecher." Vor allem nach der Geburt seines Sohnes habe sich der persönliche Fokus verschoben. "Bei der Geburt des eigenen Kindes ist mir bewusst geworden, wie viel Schönes es auch außerhalb der Politik gibt." Kurz freue sich auf den neuen Lebensabschnitt. Um die Volkspartei macht er sich keine Sorgen: "Es gibt in der Volkspartei viele erfahrene Kräfte." Über seine eigene politische Zukunft will Kurz zum Jahresanfang entscheiden.
Abschied von Kurz, Schallenberg und Blümel - Nehammer neuer ÖVP-Chef und Kanzler?
Nach den Verzicht von Alexander Schallenberg am Donnerstag Abend, soll ersten Informationen zufolge Karl Nehammer ÖVP-Chef und Kanzler werden. Kurz, gegen den von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen mutmaßlicher Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit und mutmaßlicher Falschaussage ermittelt wird, war am 9. Oktober als Bundeskanzler zurückgetreten und dann in den Nationalrat als Klubchef gewechselt.
Laut SN-Informationen gibt es in der Volkspartei die Überlegung, dass der Parteichef auch Bundeskanzler werden solle. Das würde bedeuten, dass Karl Nehammer - sollte er Kurz als Parteichef nachfolgen - auch Kanzler werden würde. Auch Verfassungsministerin Karoline Edtstadler wird als mögliche Parteichefin und womöglich auch als Kanzlerin genannt. Beide Szenarien würden also auch einen Regierungsumbau bedeuten. Kurz nach Schallenberg gab auch Finanzminister Gernot Blümel seinen Abschied bekannt. Hinter den Kulissen wird jedenfalls hektisch telefoniert. Das Treffen des Bundesparteivorstands zu weiteren Gesprächen findet am Freitag Vormittag in der Politischen Akademie der Partei in Wien statt.
Die turbulente Dekade des Sebastian K.
Im April 2011 holt der damalige ÖVP-Chef Michael Spindelegger einen relativ unbekannten jungen Mann als Integrationsstaatssekretär in die Bundesregierung - Sebastian Kurz. Die zehn Jahre seither haben den damals 24-Jährigen alle Höhen und Tiefen einer Politikerkarriere erleben lassen.
Als Staatssekretär macht Kurz gute Figur, sodass er bereits zwei Jahre später zum Außenminister aufsteigt. Bei der Flüchtlingskrise 2015/16 entdeckt er sein Leibthema: eine restriktive Asylpolitik und die Schließung der Flüchtlingsroute über den Balkan. In der ÖVP beginnt unterdessen (auch mit Zutun von Sebastian Kurz) der Sessel von Parteichef Reinhold Mitterlehner zu wackeln. Sebastian Kurz übernimmt die Partei, färbt sie von Schwarz in Türkis um, beendet die Koalition mit der SPÖ und gewinnt so 2017 überraschend die Nationalratswahl.
150.000 Vorzugsstimmen 2019
Er geht eine Koalition mit der FPÖ unter Heinz-Christian Strache ein und wird anstelle von Christian Kern Bundeskanzler. Die türkis-blaue Koalition erweist sich als stabil, zerbricht jedoch 2019 wegen der Ibiza-Affäre. Die FPÖ hilft daraufhin mit, Kurz als Kanzler abzuwählen. Er muss das Kanzleramt zum ersten Mal verlassen.
Die folgende vorgezogene Nationalratswahl im Herbst 2019 gewinnt die ÖVP klar, Kurz erhält mehr als 150.000 Vorzugsstimmen. Er bildet diesmal eine Koalition mit den Grünen und zieht Anfang 2020 erneut ins Kanzleramt ein.
Seine zweite Amtszeit ist von der Coronapandemie und dem Ibiza-Ausschuss überschattet, wo Kurz falsche Zeugenaussage vorgeworfen wird. Wegen Corona kommt es zu Anti-Kurz-Demos. Deren Motto lautet: "Kurz muss weg". Was er nun auch ist, wenn auch nicht ganz.
Kickl zum Abgang: "Jetzt ist er weg"
FPÖ-Obmann Herbert Kickl sieht sich im angekündigten Rücktritt des ÖVP-Chefs bestätigt. "Ich habe am Beginn des Jahres gesagt, Kurz muss weg, jetzt ist er weg", sagte er in einer Pressekonferenz vor der schon offiziellen Bestätigung des Rückzugs. Der Druck sei für diesen einfach zu groß geworden, nicht zuletzt jener vonseiten der ÖVP-Länderchefs. Kurz habe ja sehr viele Fronten offen. Neos-Obfrau Beate Meinl-Reisinger gab sich hingegen milder.
"Ich wünsche Dir @sebastiankurz aufrichtig alles Gute", schrieb Meinl-Reisinger auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. "Bei allem, was wir in der Politik unterschiedlich gesehen haben, was letztlich auch bleibt, ist der Mensch und dem gebührt auch Dank für seine Arbeit!"
Die Abschiedsrede von Sebastian Kurz zum Nachschauen