Lambrecht unterzeichnete am Donnerstag am Rande des NATO-Treffens in Brüssel mit Kolleginnen und Kollegen die Erklärung zu der sogenannten European Sky Shield Initiative. Dabei geht es um den Aufbau eines gemeinsamen Luftabwehr-Systems der beteiligten NATO-Staaten. Neben Deutschland sind demnach Großbritannien, die Slowakei, Norwegen, Lettland, Ungarn, Bulgarien, Belgien, Tschechien, Finnland, Litauen, die Niederlande, Rumänien und Slowenien dabei. Zudem will nach Angaben von Diplomaten auch Estland mitmachen.
Die Initiative soll helfen, bestehende Lücken im derzeitigen Schutzschirm für Europa zu schließen. Defizite gibt dort beispielsweise im Bereich ballistischer Raketen, die auf ihrer Flugbahn große Höhen erreichen, aber auch bei der Abwehr von Drohnen und Marschflugkörpern. Über die European Skyshield Initiative sollen nun unter anderem gemeinsam neue Waffensysteme eingekauft werden. Dazu zählen etwa das Iris-T-System des deutschen Herstellers Diehl, das Deutschland gerade an die Ukraine geliefert hat. Die deutsche Bundeswehr selbst nutzt das hochmoderne System bisher nicht. Im Gespräch ist auch das Raketenabwehrsystem "Patriot" des US-Herstellers Raytheon.
"Es ist wichtig, dass es jetzt schnell geht in Bezug auf die Beschaffung von Patriots, in Bezug auf die Beschaffung von Iris-T und natürlich auch in Bezug auf die Beschaffung eines darüber hinausgehenden Verteidigungssystems", sagte Lambrecht weiter. Als Abfangsystem ist das US-israelische System Arrow 3 im Gespräch. Eine Entscheidung ist laut der Ministerin noch nicht gefallen.
Hintergrund der deutschen Initiative ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Er hat die Sicherheitslage in Europa nach Einschätzung der NATO fundamental verändert und macht deswegen zusätzliche Anstrengungen bei der Luftverteidigung notwendig. Bisher war die Raketenabwehr in Europa vor allem auf mögliche Bedrohungen aus dem Iran ausgerichtet.
"Kiew ist sich bewusst, dass ein solcher Schritt eine sichere Eskalation hin zu einem Dritten Weltkrieg bedeutet", sagte Wenediktow, am Donnerstag im Interview mit der staatlichen Nachrichtenagentur TASS. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte nach der formellen Annexion von vier ukrainischen Regionen durch Russland Ende September angekündigt, einen beschleunigten Beitritt zur NATO zu beantragen. Selenskyj fordert außerdem, dass die NATO die Möglichkeit eines Atomwaffeneinsatzes durch Russland ausschließen müsse.
Die NATO-Verteidigungsminister wollen am Donnerstag bei einem Treffen im Format der sogenannten Nuklearen Planungsgruppe unter anderem um die NATO-Atomwaffenstrategie und Pläne zur Modernisierung der aktuellen Infrastruktur beraten. Zudem ist eine Unterrichtung über das jährliche Manöver zur Verteidigung des Bündnisgebiets mit Atomwaffen vorgesehen. Die Abschreckungsübung Steadfast Noon soll nach Angaben von Stoltenberg in der kommenden Woche beginnen.
Russland hatte zuletzt vier besetzte ukrainische Gebiete völkerrechtswidrig annektiert. Unter anderem Putin kündigte an, man werde sie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen. Damit schürte der Kreml-Chef Wladimir Putin die Sorge, Russland könne auf dem Schlachtfeld taktische Atomwaffen mit eingeschränkter Reichweite einsetzen.
Informationen zu möglichen Beschlüssen der Nuklearen Planungsgruppe werden nicht erwartet. Sie sind in der Regel geheim. Beteiligt an den Beratungen sind mit Ausnahme von Frankreich alle NATO-Staaten. Die derzeit einzige Atommacht unter den EU-Staaten setzt seit Jahrzehnten auf das Prinzip der "nuklearen Unabhängigkeit".
Weiteres Thema des Verteidigungsministertreffens sind gemeinsame Anstrengungen zum Ausbau der Kapazitäten der Rüstungsindustrie. Zudem wird die NATO die Ukraine mit Ausrüstung zur Drohnen-Abwehr unterstützen. In Kürze sollen Hunderte sogenannte Jammer geliefert werden. Diese könnten dabei helfen, in Russland und im Iran hergestellte Drohnen unwirksam zu machen. Jammer sind elektromagnetische Störsender. Sie senden in der Regel ein Signal aus, das die Funkverbindung zwischen der Drohne und deren Steuerungsgerät stört oder blockiert.
Die russische Armee hat nach Angaben aus Kiew in der vergangenen Woche erstmals Ziele nahe der ukrainischen Hauptstadt mit Kamikaze-Drohnen angegriffen. Den Luftstreitkräften zufolge flogen insgesamt zwölf iranische Drohnen aus südlicher Richtung auf Ziele. Auch bei den massiven russischen Angriffen in dieser Woche kamen laut ukrainischen Angaben Drohnen zum Einsatz.
Nach den mutmaßlichen Sabotageakten gegen die Erdgasleitungen Nord Stream 1 und Nord Stream 2 verständigten sich die NATO-Staaten zudem auf eine bessere Überwachung von kritischer Infrastruktur. Konkret nannte Stoltenberg die Infrastruktur im Energie- und Unterwasserbereich. Zu letzterem zählen auch Datenkabel.
Schon jetzt verstärken die Alliierten nach Angaben von Stoltenberg die Schutzmaßnahmen von besonders wichtigen Einrichtungen und den Austausch von Geheimdienstinformationen. In der Nord- und Ostsee sei die maritime Präsenz der NATO nach den mutmaßlichen Sabotageakten verdoppelt worden. Über Details zusätzlicher Überwachungs- und Schutzmaßnahmen sollen in Kürze Experten der Mitgliedstaaten im Hauptquartier in Brüssel beraten.
An den beiden Röhren von Nord Stream 1 und einer Röhre von Nord Stream 2 in der Ostsee waren nach Explosionen Ende September schwere Beschädigungen und mehrere Unterwasser-Lecks entdeckt worden. Bisherigen Erkenntnissen zufolge hatten sich mindestens zwei Detonationen ereignet, die zu vier Lecks führten. Die Lecks in den Pipelines, die von Russland nach Deutschland führen, befinden sich in der Nähe der Ostsee-Insel Bornholm teils in dänischen, teils in schwedischen Gewässern. Tagelang traten enorme Gasmengen aus.