Während in Salzburg am Mittwoch die Nervosität vor dem informellen EU-Gipfel zu Migration und Brexit quasi zum Greifen war, ging es einer gemütlich an: Portugals Premier António Costa landete mit seiner Delegation bereits um acht Uhr früh. In aller Ruhe und nahezu unerkannt absolvierte er einen Spaziergang durch die Altstadt samt Einkehr auf der Terrasse des Café Tomaselli, bevor mit dem Eintreffen seiner Amtskollegen die normale Gipfelhektik einsetzte.
Ratspräsident Donald Tusk schuf bereits vor Gipfelbeginn Fakten: Er kündigte für Mitte November einen Sondergipfel zum Austritt Großbritanniens aus der EU an. Die Verhandlungen seien in der "entscheidenden Phase", sagte er. Noch immer seien "verschiedene Szenarien offen". Die Vorschläge von Premierministerin Theresa May hätten zwar "eine positive Entwicklung" gebracht und würden die negativen Auswirkungen eines Brexit dämpfen, insbesondere bei Sicherheit und Außenpolitik. In der Nordirland-Frage und der künftigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit müssten die britischen Vorschläge aber "überarbeitet und weiter verhandelt werden". "Heute gibt es mehr Hoffnung, aber es gibt sicher weniger und weniger Zeit", betonte Tusk.
Beim Sondergipfel soll die Stunde der Wahrheit schlagen. Der Scheidungsvertrag mit London, bislang noch nicht in Sicht, soll besiegelt werden.
In dem Vertrag geht es nur um Rahmenbedingungen - Finanzen, Rechte der Briten in der EU und umgekehrt - sowie um den umstrittensten Punkt: die künftige EU-Außengrenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland. Sämtliche Details der zukünftigen Beziehung sollen in der Übergangszeit bis 2020 ausverhandelt werden.
Theresa May bekam beim Abendessen auf der Opernbühne der Felsenreitschule die Gelegenheit, um Verständnis für ihre Position zu werben. Eine Debatte gab es nicht. Über die weitere Vorgangsweise der EU werden Mays Amtskollegen beim Mittagessen heute, Donnerstag, reden, wenn May bereits abgereist ist. Dabei wird es auch erstmals um den Inhalt der politischen Erklärung gehen, die den Scheidungsvertrag flankieren wird. May trifft zuvor noch Tusk und den irischen Premier Leo Varadkar.
Am Dienstag hatte EU-Chefverhandler Michel Barnier, der gemeinsam mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach Salzburg gekommen ist, Bewegung bei der Frage signalisiert, wie Grenzkontrollen in Nordirland vermieden werden können. Bestimmte Zollkontrollen könnten bereits in den Unternehmen stattfinden.
Guy Verhofstadt, Brexit-Chefverhandler des Europaparlaments, gab sich optimistisch, dass es zu einem Kompromiss kommen wird, obwohl auch er noch "existenzielle Probleme" beim derzeitigen Vorschlag der Briten sieht. "Rosinenpickerei sollten wir nicht erlauben", sagte er bei einem Besuch am Donnerstag in Wien. "Ich hoffe, dass die Staats- und Regierungschefs in Salzburg in diesem Punkt klar sein werden."
Anders als beim Brexit zeichnete sich bei der umstrittenen Neuregelung von Asyl und Migration, über die beim Abendessen in der Felsenreitschule gesprochen wurde, keine Bewegung ab.
Tusk appellierte an die 28 Staats- und Regierungschefs, mit den "Schuldzuweisungen aufzuhören". Trotz der aggressiven Rhetorik bewegten sich die Dinge aber in die richtige Richtung, betonte er. Die Zahl der Ankünfte von Flüchtlingen und Migranten sei von mehr als zwei Millionen 2015 auf weniger als 100.000 gesunken. "Das ist weniger als in den Jahren vor der Krise." Statt politisches Kapital zu schlagen, sollten sich die EU-Länder auf das konzentrieren, was funktioniert, und weitermachen. "Wir können nicht länger gespalten sein in diejenigen, die die Krise lösen wollen, und die, die sie für politische Spiele benutzen", sagte Tusk.