Der deutsche Ökonom Daniel Fuhrhop (55) fordert neben der Klima- und Energiewende auch eine Wohnwende. Er berät Gemeinden zur Frage, wie sie ungenutzte Zimmer, Wohnungen und Häuser wieder in Nutzung bringen können. Am Mittwoch spricht er in Salzburg.
Sie haben ein Buch mit dem Titel "Verbietet das Bauen!" publiziert. Warum sollte man es verbieten? Daniel Fuhrhop: Der Titel ist natürlich polemisch überzogen. Aber er ist genauso zutreffend oder falsch wie sein Gegenteil, nämlich das, was wir jetzt machen: bauen, bauen, bauen. Denn Neubau ist sehr teuer. Dadurch sind die entstehenden Wohnungen unsozial. Obendrein verschandelt es die Landschaft und zerstört das Klima - Gründe genug, um Alternativen zu suchen.
Wie hoch ist das Potenzial des Leerstands in Österreich? Laut Statistik Austria leben in Österreich in 758.000 Haushalten Menschen alleine in Wohnungen oder Häusern mit drei oder mehr Zimmern. In 558.000 Haushalten leben zwei Personen in vier oder mehr Zimmern. Das heißt, diese Wohneinheiten sind so groß, dass da theoretisch ein bis zwei Personen mehr Platz hätten. In Summe wären das rechnerisch bis zu zwei Millionen Menschen, die so neuen Wohnraum finden könnten. Das werden manche nicht tun wollen oder nicht tun können, etwa weil sie schon recht alt sind. Aber es wäre schon ein großer Schritt, wenn nur jeder Zehnte die Möglichkeit bekommt, seinen überschüssigen Wohnraum anders zu nutzen.
Wie mobilisiert man einzelne leere Zimmer? Das kann viel einfacher sein, als man glaubt, weil es Menschen gibt, die von sich aus sagen, dass sie mit ihrem großen Haus nicht mehr viel anfangen können. Sie wünschen sich Unterstützung, um eine Etage oder eine Einliegerwohnung anders zu nutzen. Denen kann man helfen - durch Beratung und Vermittlung. Zum Beispiel habe ich in Göttingen eine städtische Wohnraumagentur mit aufgebaut. Sie unterhält sich zunächst mit den meist älteren Bewohnern solcher Häuser oder Wohnungen über ihre Wünsche. Wenn sie für eine Umnutzung umbauen müssen, vermittelt sie ihnen Architekten, die weiterhelfen - wenn man etwa ein zweites Bad einbauen möchte oder einen zweiten Eingang. Eine andere Möglichkeit ist, dass die Menschen, die eine Einliegerwohnung prinzipiell zwar vermieten würden, aber dann doch davor zurückschrecken, die Miete von der Stadt garantiert bekommen - wie in Karlsruhe. Die Stadt kümmert sich dort auch um den Ärger, den es beim Vermieten geben könnte. Zudem gibt sie Geld, um nötige Sanierungen zu fördern. Dann vermittelt die Stadt Karlsruhe, und das seit 20 Jahren erfolgreich, in diese privaten Wohnungen auch Sozialhilfeempfänger. Aber die Vermieter trauen sich das zu, weil sie Hilfe bekommen.
Die Stadt Salzburg hatte auch so eine Mietgarantie gestartet. Dabei sind binnen 2,5 Jahren aber nur elf Wohnungen tatsächlich vermietet worden. Ich kenne dieses Salzburger Projekt nicht im Detail. Aber generell gilt: Wichtig ist, dass es ein Komplettpaket gibt. Also dass nicht nur die Miete garantiert ist, sondern dass es auch Ansprechpartner gibt, die sich binnen 24 Stunden um ein Problem kümmern, sodass die Eigentümer nichts machen müssen. Es gibt etwa zwei Dutzend Städte in Deutschland, die mir bekannt sind, die solche Programme machen.
Ein weiterer Vorschlag zur Nutzung einzelner leerer Zimmer ist das Modell "Wohnen für Hilfe". Wo und wie gut funktioniert es bereits? Das gibt es in 18 Staaten; auch in Österreich, konkret in Wien. Betreiber ist das Sozialunternehmen Wohnbuddy. Bei diesem Modell werden ältere Menschen mit viel Platz zusammengebracht mit jungen Leuten, die sich ein Zusammenwohnen vorstellen können. Ziel ist, dass man sich gegenseitig hilft: Die jungen Leute packen beim Einkaufen, im Garten und im Haushalt an. Die älteren Leute geben den Platz - und vielleicht auch gute Ratschläge. Und: Es wird entweder eine reduzierte Miete bezahlt oder nur eine Beteiligung an den Betriebskosten der Wohnung. Es gibt hervorragende professionelle Vermittlungsstellen dafür in Belgien, Großbritannien und Frankreich. In einer Stadt in der Größe von Salzburg könnten hier 50 bis 100 junge Leute pro Jahr an ältere Bewohner vermittelt werden. Zielgruppe sind Lehrlinge und Studenten, die sich schwertun, sich Wohnraum leisten zu können.
Wie mobilisiert man komplett leere Wohnungen? Da hilft meiner Einschätzung nach nur das Ordnungsrecht. In Deutschland gibt es Gesetze, die sagen, dass der Leerstand von Wohnungen eine Zweckentfremdung ist. Das ist verboten. Es gibt Kommunen, die das auch verfolgen. Wohnungen werden etwa aus Spekulationsgründen leer gelassen, also weil man sie später teurer verkaufen will. Die Stadt München ahndet das mit einem Bußgeld. Wenn man solche Verordnungen als Kommune erlässt und Personal dafür in der Verwaltung einstellt, kann man Erfolg haben: München hat zuletzt etwa im Jahr 450 zweckentfremdete Wohnungen wieder zurück in den Markt geholt, weil auch die Bußgelder immer höher wurden. Als Zweckentfremdung gelten in München neben dem Leerstand auch eine Nutzung als illegale Ferienwohnung und die Nutzung von Wohnungen als Büros.
Heikler ist, wie man Einfamilienhäuser am Land umnutzt, weil dort die Vermietung eher unüblich ist. Ja. Dafür eignet sich das Modell "Jung kauft Alt": Das ist ein Förderprogramm für junge Leute und Familien, die ein altes Haus kaufen und selbst einziehen. Die ehemaligen Bewohner erhalten auf Wunsch ein Wohnrecht. Aber in der Tat gibt es die Herausforderung, wo die weichenden Verkäufer wohnlich unterkommen - wenn sie nicht in ein Seniorenheim gehen wollen. Manche organisieren sich Seniorenwohngemeinschaften. Aber das ist nicht für alle etwas. In Oldenburg habe ich acht Senioren kennengelernt, die fünf Einfamilienhäuser frei gemacht haben - und mit dem Erlös daraus ein neues Haus für ihre Bedürfnisse gebaut haben. Damit haben sie sich um mehr als 200 Quadratmeter verkleinert. So ist Wohnraum für mindestens zwei Familien entstanden. Für solche Projekte wünsche ich mir Förderungen von Gemeinden oder vom Bund.
Welchen Beitrag könnten hier sogenannte Bau- oder Wohngruppen leisten? Mir sind Baugruppen sehr sympathisch, weil sie Projekte schaffen, wo Alt und Jung zusammenleben. Allerdings muss man genau hinschauen, ob dadurch mehr Wohnraum frei wird. Denn es gibt auch solche Baugruppen, die nachher nicht weniger Fläche bewohnen als vorher.
Laut einer Studie des Umweltbundesamts gibt es in Österreich 13.000 Hektar an Industriebrachen; nimmt man ungenutzte Gewerbeflächen und leer stehende Häuser dazu, kommt man auf geschätzt 40.000 Hektar an verbauten, aber ungenutzten Flächen - das ist fast die Größe Wiens. Wie kann man diese Areale wieder in Nutzung bringen? Ich kann da nur sagen, dass hier das Potenzial sehr groß ist. Und diese Zahlen zeigen, dass wir Flächen hier wiedernutzen können - und nicht nur neu nutzen. Allerdings: Umnutzungen sind ökologisch wichtig, aber nicht immer preisgünstig, weil die Vorschriften für Brandschutz und Schallschutz schärfer geworden sind. Zudem gelten für Wohnungen auch andere Standards. Daher muss man öfter größere bauliche Eingriffe machen, um etwa alte Büros in brauchbare Wohnungen umzubauen.
Spielt hier nicht auch gute, qualitätsvolle und nachhaltige Architektur eine Rolle, damit ehemalige Industrie- und Gewerbebauten leichter nachgenutzt werden können - und nicht fix wegen ihrer Unansehnlichkeit, aber auch ihrer unnachhaltigen Bauweise nach 20 Jahren abgerissen werden müssen? Ja, natürlich braucht es auch gute Planungen, damit mehr dieser Gebäude umgebaut und nachgenutzt werden können. Vielleicht müssen wir auch verstehen, dass nicht nur neue Häuser chic sind - sondern dass auch umgenutzte Gebäude chic sein können, auch wenn sich unsere ästhetischen Vorstellungen hier geändert haben. Dazu kommt: Wenn die Baumaterialien - beispielsweise Zement oder aber auch Styropor - so viel kosten würden, wie für ihre Entsorgung notwendig ist oder wie viel sie angesichts der Umweltschäden, die sie anrichten, kosten müssten, dann hätten wir schon längst viel mehr Umbau als Neubau.
Sollte man neue Einfamilienhäuser ob ihres Flächenverbrauchs überhaupt noch mit Steuergeld fördern? Vorab: Ich habe gar nichts gegen Einfamilienhäuser. Aber wir haben schon sehr viele davon. Und wenn wir etwas fördern, sollte das Umnutzung und Belebung bestehenden Wohnraums sein. Den Neubau von Einfamilienhäusern sollten wir nicht mehr mit Steuermitteln mitfinanzieren.
Eine weitere Idee wäre ja, dass Gemeinden, statt immer neues Grünland in Gewerbegebiete umzuwandeln, hier über die Gemeindegrenzen hinweg kooperieren müssen - und beispielsweise nur dann dafür eine Förderung vom Land bekommen … Es gibt in Deutschland einige Modellkommunen, wo so etwas bereits passiert. Leider ist es noch nicht generell üblich. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir nur durch eine Beschränkung des Flächenverbrauchs auf nationaler Ebene hier weiterkommen. In den einzelnen Kommunen gibt es immer einzelne Lokalpolitiker, die weich werden und den nächsten Acker zur Verbauung freigeben. Das schaffen die nicht anders. Daher braucht es hier eine nationale Begrenzung. So könnte man vorschreiben, dass bis zum Jahr 2035 der Flächenverbrauch auf null sinkt - und könnte das verbindlich festlegen. Genauso wie man beim Klimaschutz die Treibhausgasemissionen irgendwann auf null senkt. Daher darf so ein Ziel nicht eine freiwillige Willenserklärung sein, es muss Gesetzescharakter haben.
Sollte man daher die Flächenwidmungskompetenz von den Gemeinden wegnehmen und sie lieber einer höheren Instanz übertragen? Ja, das sehe ich so. Das wäre absolut richtig.
Laut der österreichischen Hagelversicherung verliert Österreich jährlich 0,5 Prozent seiner Agrarfläche, weil so viele Flächen versiegelt und verbaut werden. Bei einem Fortschreiten dieser Entwicklung gäbe es in 200 Jahren also so gut wie keine Agrarflächen mehr in Österreich. Sollte diese Entwicklung nicht Konsequenzen haben? Das zeigt eindrücklich, dass es nicht so wie bisher weitergehen kann. Und dass wir unbedingt eine verbindliche gesetzliche Obergrenze für den Flächenverbrauch nötig haben. Die Zersiedelung der Städte ist deswegen besonders schmerzhaft, weil rund um die Städte auch die fruchtbaren Böden sind. Darum haben sich die Städte dort ja entwickelt. Daher geht es Hand in Hand, wenn man den Flächenfraß der Städte bremst, dass dadurch auch gleichzeitig das Ackerland geschützt wird. Dafür brauchen wir eine Kreislaufwirtschaft der Flächen - und auch eine Kreislaufwirtschaft des Wohnens. Wir müssen dafür sorgen und es daher auch beschleunigen, dass bereits genutzte Flächen immer wieder neu genutzt werden - statt neues Grünland anzuknabbern.
Veranstaltungen: Daniel Fuhrhop referiert zum Thema "Das einsame Haus" am Mittwoch, 3. Mai, von 16 bis 18 Uhr bei der "Woche der Ressourcenwende" im Heffterhof (Maria-Cebotari-Straße 1, Salzburg); Programm: www.ressourcenwende.eu. Daran anschließend findet um 19 Uhr eine Podiumsdiskussion im SN-Saal (Karolingerstraße 40) statt, Motto: "Ist Nachhaltigkeit utopisch?".