Beim Sprüchlein "Die Hoffnung stirbt zuletzt" dürfte dem deutschen Markenexperten Klaus-Dieter Koch wohl die Galle hochkommen. Erst recht, wenn es aus dem Mund von Wirtschaftstreibenden stammt. Gerade die Touristiker klammerten sich jedes Jahr zum Saisonstart nur allzu gern an die Hoffnung, kritisiert Koch. Man hoffe auf gute Buchungen, man hoffe auf viel Schnee, man hoffe auf wenig Staus bei der Anreise. "Hoffen aber ist eine Kategorie des Glaubens, nicht der Wirtschaft", erklärt der Markenexperte. Deshalb, so rät er, sollte man sich vom Winter als Jahreszeit unabhängig machen. "Der Winter ist ein Produkt, und das kann man managen." Die Touristiker sollten aufhören, Dinge zu verkaufen, die sie haben. "Nur weil man eine Seilbahn oder Skipisten hat, muss der Gast noch lange keine Lust darauf haben." Das Produkt Winter sei mehr als nur Skifahren. Es brauche Risikostreuung.
Wobei sich auch für die Marketingexperten die Welt nicht mehr so einfach darstellt, wie sie einmal war. Früher, sagt Koch, sei es nicht so tragisch gewesen, dass ein Marketingmann nicht habe nachweisen können, wie er es angestellt habe, dass ein Produkt oder eine Destination angenommen werden. "Die Glaubwürdigkeit des Marketings war noch nie in Topform", gesteht er. Heute aber sei alles noch viel schwieriger, "heute ist alles messbar".
Dieser Umstand stelle den Menschen allerdings vor gehörige Pro bleme. "Wir können nicht wirklich rechnen, vor allem aber können wir eines nicht, was in der digitalen Welt von Bedeutung ist - exponentiell denken." Wenn aber etwas exponentiell kippe, also den "Tipping Point" erreiche, gehe es rasant aufwärts oder aber auch abwärts. Als Beispiel nennt Koch die deutsche Automobilbranche. Diese habe 1987 die Forschung an elektrischen Batterien eingestellt. Danach kamen zwei "Tipping Points": "Elon Musk mit Tesla und der Dieselskandal." Und wenn auch noch die Sharing Economy dazukomme, also dass Menschen unter 30 Jahren eher auf das Auto als das Smartphone verzichten, dann werde der "Tipping Point" wirklich ungemütlich.
Die Erkenntnis aus der Ge schichte: Starke Marken bringen nur dann mehr Umsatz, wenn sie funktionieren und gut gemanagt sind. Und das funktioniert laut Koch am besten so:
Die Marke mischt sich in die Vertrauensbildung ein. Vertrauen aber ist erst mit Gewohnheit möglich, wenn man sich an etwas oder jemanden gewöhnt hat, an das Lieblingshotel oder Lieblingsrestaurant. Letztlich wolle jeder in seinen Gewohnheiten bestätigt werden. "Vertrauen ist dann, wenn der Mensch aufhört nachzudenken", betont Koch. Ergo braucht ein Konsument das Produkt, das er kaufen will, gar nicht zu verstehen, wichtig ist: Er vertraut ihm. Der größte Fehler, den man machen könne, sei, das Vertrauen zu zerstören, betont Koch.
Beim Konsumenten anzukommen wird ohnehin immer schwieriger. Im Schnitt hat der Mensch 3000 Markenkontakte pro Tag. Nur zwei Prozent davon kommen im menschlichen Gehirn auch an, das sind 60. "Und da gehört schon die Zahnpasta dazu, die ich am Morgen verwende", sagt Koch. Früher habe es geheißen, 50 Prozent der Werbung seien beim Fenster hinausgeschmissen, "jetzt sind wir bei 98 Prozent". Was es heute so schwierig macht, beim Kunden zu landen: "Der Überfluss hat den Mangel abgelöst." Starbucks liefere - durchgerechnet - 6000 Möglichkeiten, Kaffee zu trinken. "Da braucht man 16 Jahre, um sich da durchzusaufen", witzelt Koch.
Ein Markensystem sei deshalb wie ein Eisberg, "es hat mehr Sinn, in den unsichtbaren Teil vorzudringen". Kein Mensch kaufe Ski wegen der Produktbroschüre. Es gehe vielmehr um deren Bedeutung, um den Sinn und darum, was das Produkt aus einem mache. "Man will mit dem Ski, den man fährt, ein Statement abgeben." Es gehe darum, was mit dem Produkt assoziiert werde. Kochs guter Rat an die Touristiker: "Geben Sie Ihren Marken Bedeutung."
In Wirklichkeit lebe man in einer Welt austauschbarer Slogans. "Es wird kopiert statt kapiert", kritisiert Koch. Und dabei würden viel Geld und Aufmerksamkeit verschwendet. Wenn der deutsche Gast wählen muss, wo er seinen nächsten Winterurlaub verbringen will, schaut er sich im Schnitt Bilder von acht Skigebieten an. "Dann hat er keine Kraft mehr", sagt Koch. Denn der Eindruck, den er gewinne, sei überall derselbe: "Es ist überall gleich schön, blauer Himmel, alle Menschen happy." Was tue also der potenzielle Gast? "Er geht auf booking.com und schaut, wo es am günstigsten ist." Dabei seien nur 17 Prozent der Deutschen echte Schnäppchenjäger. "Aber die Touristiker treiben die Menschen in den Preisvergleich, wenn sie ihnen keine Alternativen bieten." Wenn man an der Oberfläche des Eisbergs arbeite, liefere man keinen Grund dafür, warum man ein Skigebiet lieben soll.
Die Faszination der Einsamkeit sei der Industrialisierung des Winters gewichen. "Die Leute suchen Einsamkeit, aber finden Masse", kritisiert Koch. Trotzdem sei alpines Skifahren der einzige Sport, der von einem egalitären zu einem Eliteprodukt werde. Man habe alle Anstrengungen unternommen, die Leute möglichst leicht und spielerisch auf den Berg zu bringen, und ein Produkt der Weltklasse geschaffen. Zu hinterfragen sei nun: "Will das überhaupt wer? Und wenn nein? Was wollen sie dann?"
In einer unbeständigen, unsicheren, vielschichtigen und ungewissen Welt gehe es heute nicht mehr um Bedürfnisse, sondern um Lebensknappheit. "Skifahren muss nicht mit Pistenkilometern in Verbindung stehen. Man muss die Leute mit ihren Sehnsüchten konfrontieren." Früher sei Skifahren ein Gefühl gewesen, ein Zusammensitzen an der Hütte, ein Sich-Austauschen. "Vielleicht sehnen sich die Menschen wieder danach?"
Für den Markenexperten Koch steht fest: "Das männliche Erfolgsmuster funktioniert nicht mehr." Früher seien im Tourismus die Träume des Hoteliers, des Seilbahners oder des Bürgermeisters im Mittelpunkt gestanden. "Im digitalen Zeitalter ist es erstmals der Gast." Wer es schaffe, den Gast zu berühren, gewinne das Spiel. Vielleicht müsse man dafür nur lieb gewonnene Dinge wieder besser verknüpfen, meint Koch. Derzeit spiele im Tourismus oft jeder sein eigenes Lied, "und das macht Skiorte so austauschbar und wertlos".
Koch warnt auch eindringlich vor einer Massenbewegung zu Billigpreisen. "Wenn das so weitergeht wie jetzt, ist irgendwann die Landschaft weg." Es gehe nicht darum, wie viele Betten ein Tourismusort habe, sondern darum, wie viel die Gäste dafür ausgäben. "In Venedig geben die Touristen im Schnitt 69 Euro pro Tag aus, in Fügen im Zillertal 42 Euro die Nacht", erläutert Koch. "Nächtigungszahlen allein verpesten die Zukunft."
Und auch Skiorte mit bekanntem Namen könnten heute nicht mehr mit andauerndem Erfolg rechnen. "Nur weil man bekannt ist, ist man nicht begehrt", betont Koch. Ohnehin ist er überzeugt davon, dass für das Marketing der Zukunft nicht mehr Tourismusverbände und -werber maßgeblich die Wegweiser sein werden. Durch die Digitalisierung habe sich die Wahrnehmung der Menschen total verändert. "Wir alle werden nicht mehr senden und broadcasten müssen, das machen unsere Gäste." Freilich aber müsse man die Gründe dafür schaffen, dass kommentiert und geteilt werde.
Wie das geht, zeigt ein Beispiel von Adidas: Der deutsche Sport artikelhersteller hat in Tokio einen Nachtmarathon veranstaltet - 42 Kilometer durch die Stadt, mit einem Adidas-Shop als Ziel. Erstaunliche 100 Millionen Postings habe die Veranstaltung generiert, sagt Koch. "Am Ende werden sich die Tourismuswerber darauf konzen trieren, den Rahmen zu schaffen, um eine Marke zu kreieren."