"Zuhause in der ganzen Welt", heißt es im Internetauftritt des Autobauers Opel. Das Werk im Wiener Stadtteil Aspern ist noch eingezeichnet - im Herzen Europas. Die auf der Website ausgewiesenen 1450 Beschäftigten entsprechen nicht mehr dem letzten Stand. Laut jüngsten Mitteilungen arbeiten noch rund 260 Personen in dem Werk, in dem weiter 6-Gang-Schaltgetriebe des Typs MB6 für Opel-Verbrennermotoren gebaut werden. Doch die Zentrale des Autokonzerns Stellantis hat schon im Sommer 2023 das finale Aus für den Standort Wien beschlossen.
Grund sei der "gravierende Wandel in der Automobilindustrie hin zur Elektromobilität". Anders gesagt: Weil sich die EU und Österreich für die Umstellung zum E-Auto entschieden haben, lohnt sich die Herstellung von Verbrennergetrieben in Wien nicht mehr. Damit seien "die Voraussetzungen für eine nachhaltige Zukunft des Werks Aspern nicht (mehr) gegeben".
"Fehlender Gestaltungswille" oder "überbordende Bürokratie"?
Darüber hinaus gab es immer wieder kritische Stimmen, die Mängel am Standort zumindest mitverantwortlich machten. So kritisierte SPÖ-Sozialsprecher und Gewerkschafter Josef Muchitsch "fehlenden Gestaltungswillen seitens der ÖVP-Grün-Regierung in der Industriepolitik". Für die Wiener Stadt-ÖVP legen "überbordende Bürokratie und Belastungen" der Stadtregierung den Betrieben "große Steine in den Weg", während für FPÖ-Verkehrssprecher Christian Hafenecker "das sture Verteufeln des Verbrennungsmotors" durch EU und die Regierungsparteien "Existenzen von fleißigen Arbeitern vernichtet".
Was meinen Experten? Ist Wien als Industriestandort tatsächlich auf dem absteigenden Ast?
Keineswegs, lautet kurz gefasst das Resümee einer Reihe befragter Experten. Einer davon ist Peter Huber, der sich im Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo mit Standortfragen und Regionalökonomie beschäftigt. "Wien ist den größten Teil der 1990er- und 2000er-Jahre vergleichsweise hinterhergehinkt, weil die Sachgüterproduktion aus der Stadt hinausgegangen ist." Spätestens seit der Finanzkrise 2009 gab es einen starken Strukturwandel.
Wien - von der sterbenden zur jüngsten Stadt Österreichs
Das frühere Bild einer überalterten, sterbenden Stadt treffe längst nicht mehr zu, sagt Huber. "Heute ist Wien die jüngste Stadt in Österreich, dynamisch, divers und sehr international." 2009 habe sich gezeigt, dass Regionen mit Sachgüterproduktion widerstandsfähiger gegenüber wirtschaftlichen Schocks waren als reine Dienstleistungszonen. Seither gebe es Bemühungen, Industriebetriebe in die Stadt zurückzuholen und Absiedlungen zumindest zu verlangsamen.
Auch Toni Steinmetz, Landessekretär der Gewerkschaft Pro-Ge, erkennt bei manchen Betrieben die Tendenz, aus Wien abzuwandern - aber vor allem wegen günstigerer Grundstückspreise im Umland. "Viele Betriebe brauchen große Flächen, daher gibt es eine gewisse Dynamik hinaus aus Wien." Gut qualifizierte Arbeitskräfte machten die Stadt interessant für Industriebetriebe im Lebensmittel- oder Pharmabereich. Dass für Stellantis Auslandswerke weniger Gewicht hätten, sei aus Konzernsicht nachvollziehbar, meint Steinmetz, der sich "von manchen heimischen Managern ähnlichen Patriotismus wünschen würde". Es wäre hoch an der Zeit, sich um eine sinnvolle Nachnutzung des 600.000 m² großen Areals im Besitz der Bundesimmobilienagentur (BIG) zu kümmern.
Trend weg von reiner Fertigung zu forschungsnaher Industrie 4.0
Die Opel-Absiedlung sei auf Basis einer "globalen Konzernlogik" gefallen, wo der Standort keine Relevanz gehabt habe, ist der Chef der Wirtschaftsagentur Wien, Gerhard Hirczi, überzeugt. Dazu sei noch der "Technologiebruch" hin zu E-Mobilität gekommen. Das Wiener Opel-Werk sei "extrem gut aufgestellt". An Unterstützung durch die Stadt habe es nicht gefehlt, bereits 2018 sei eine geplante Schließung abgewendet worden. Hirczi sieht eine Verschiebung von reiner Fertigung zu Industrie 4.0. Beispiele seien die Pharmakonzerne Boehringer Ingelheim und Takeda, die in Wien Forschung und Fertigung verbinden. Ein Industrieanteil sei wichtig, "sonst würde sich Wien nur noch verdienstleisten".