Fachkräfte fehlen, Lehrlinge werden händeringend gesucht: So lautet das langjährige Mantra, das aus den Betrieben zu hören ist. So gar nicht ins Bild passt da ein aktueller Bericht aus dem Wirtschafts- und Arbeitsministerium zur Lehrlingsausbildung. Demzufolge ist im Vorjahr die Zahl an Lehrbetrieben in Österreich auf ein Langzeittief gesunken. Nur noch 27.083 Betriebe bilden junge Menschen aus. Die größten Rückgänge an betrieblichen Lehranbietern verzeichneten die Sparten Tourismus und Handel, aber auch Gewerbe und Handwerk. Wie kann das sein?
Absatzschwäche überholt Personalmangel als größtes Problem
Das linksliberale Momentum Institut stellte jüngst in einer Untersuchung fest, dass in der seit einem Jahr anhaltenden Wirtschaftslaute die Absatzschwäche den Personalmangel als größtes Problem überholt hat. Im zweiten Jahresviertel 2024 beklagten im Dienstleistungsbereich knapp 25 Prozent der Betriebe fehlenden Absatz (Frühjahr 2022: 8,5 Prozent). Personalmangel beschäftigte nur knapp 20 Prozent (Herbst 2022: 41 Prozent). In der Industrie zeigt sich ein ähnliches Bild.
"Natürlich spielt die wirtschaftliche Situation mit, gerade im Baugewerbe ist es jetzt nicht leicht", sagt Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der Sparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer. Vereinzelt würden Betriebe jetzt mit der Ausbildung pausieren, erklärt sie, "aber viele sind es nicht".
Anzahl der 15-Jährigen stark gesunken
Weit größeren Einfluss auf die rückläufige Anzahl an Lehrbetrieben hätten die demografische Entwicklung und die Größe der Betriebe. "Wir haben viele kleinere Firmen und die bilden einen oder zwei Lehrlinge aus, wenn die fertig sind, und es wird kein neuer Lehrling gefunden, dann fallen sie als Ausbildner aus der Statistik raus." Für Scheichelbauer-Schuster ist das Personalproblem in der Branche weiter groß: "Die Betriebe suchen durch die Bank Jugendliche."
Hälfte der Lehrbetriebe mit nur einem Lehrling
Doch von denen gibt es eben immer weniger. Die bildungspolitische Abteilung der Wirtschaftskammer liefert Zahlen: Gab es 2007 noch rund 100.000 Fünfzehnjährige in Österreich und 41.000 Lehrlinge im ersten Lehrjahr, waren es im Vorjahr, also 2023, nur noch 87.000 und 34.000 Lehranfänger. Seit 1995 liege zwar die prozentuelle Anzahl der Jugendlichen, die eine Lehre beginnen, bei "plus/minus 40 Prozent relativ stabil", wie Abteilungsleiter Alfred Freundlinger erklärt, nur sei eben die Anzahl an jungen Menschen stark gesunken. Da die Hälfte der aktuell gut 27.000 Lehrbetriebe nicht mehr als einen Lehrling hat, gebe es zudem eine leichte Verschiebung hin zu größeren Ausbildungsbetrieben - womit deren Anzahl in Summe sinkt.
Neue Lehrberufe gegen klassische
Gleichzeitig ist zuletzt die Zahl der Lehranfänger wieder leicht gestiegen. Mit 34.082 Einsteigern wurde im Vorjahr das Niveau des Vor-Corona-Jahres 2019 immerhin leicht überschritten. Wie viele heuer im Herbst starten, wird Ende Oktober ausgewertet.
Den Grund, warum sich laut Bericht im IT-Bereich die Zahlen seit 2017 verdoppelten - von 520 auf zuletzt 968 Lehrlinge im ersten Jahr -, während sie in anderen Branchen stark zurückgingen - im Tourismus halbierte sich die Anzahl seit 2008 auf 7189 Lehrlinge -, sieht Freundlinger im wachsenden Wirtschaftseinfluss der jüngeren Lehrberufe. Die Kleidermacher hätten in den 1980er-Jahren auch noch eine große Zahl an Lehrlingen gehabt, heute gebe es noch eine Handvoll, die sich auf edle Maßanfertigung spezialisierten.
Bau und Gewerbe mit 2000 Lehrlingen mehr als 2017
Die Jahre, in denen die Lehre abgestempelt wurde als nur etwas für weniger kluge Jugendliche, sieht man jedenfalls hinter sich gelassen. "Den Trend, dass man die Kinder auf Biegen und Brechen in eine höhere Schule schickt, haben wir etwas durchtaucht", sagt Bildungsexperte Alexander Rauner von der Bundessparte Gewerbe und Handwerk. Aktuell bilde man mit 46.600 Lehrlingen in der Branche um 2000 mehr aus als noch 2017. Mit ein Grund: Die Lehre beginne auch bei den Familien mit Migrationshintergrund, vor allem aus den Ländern Ex-Jugoslawiens, zu greifen, "bei den jüngeren Migrantenströmen leider noch nicht so", sagt Rauner. Zunehmend beliebter, wenn auch noch auf niedrigem Niveau, werde die Lehre bei AHS-Maturanten.
Installateure setzen auf "Green Skills" und hohe Lehrlingseinkommen
Manfred Denk, Bundesinnungsmeister der Installateure, kann nicht klagen: "Wir kommen langsam auf das Allzeithoch zurück, das wir einmal hatten." Aktuell zähle man 4500 Lehrlinge, "und wir wünschen uns noch mehr". Damit das bei einer schrumpfenden jungen Generation gelingt, setzt man voll auf die "Green Skills". Denk betont: "Unsere Berufe sind die Schlüsselgewerke im Klimawandel - beim nachhaltigen Strom, Wärme, Bauen, Sanieren." Derzeit habe man im Heizungstausch viele Aufträge.
Mit Herbst 2025 soll auch die Lehrausbildung voll klimafit sein. Wasser- und Wärmetechnik werden in einer dreieinhalbjährigen Ausbildung zusammengefasst, die Ölheizung fällt raus, dafür wird bei Photovoltaik die Wissensvermittlung verbessert. Und es gibt ordentlich Geld: "1000 Euro im ersten Lehrjahr, und wer will, noch ein Gratis-Klimaticket dazu", erläutert Denk.
Handel und Tourismus tun sich schwer
Gerade bei den monetären Anreizen für die Lehrlinge sehen sich manche Branchen im Nachteil. Im Handel sieht man "bald eine Grenze erreicht", so Obmann Rainer Trefelik. Bei den Lehrlingseinkommen habe man in den vergangenen Jahren immer überproportional erhöht, zuletzt auf 880 Euro im ersten Lehrjahr. Im Inflationshoch gepaart mit Konsumflaute seien einige große Ausbildungsbetriebe weggebrochen. Dazu werde der Wettbewerb um Lehrlinge immer schärfer, klagt Trefelik, "für die Betriebe ist das eine riesige Herausforderung".
Im Tourismus wird betont, dass die Branche nicht aufgebe, auszubilden - im Gegenteil: "Qualitätstourismus braucht mehr Personal", bekräftigt WKO-Spartengeschäftsführer Manfred Katzenschlager. Im heurigen Juli zählten die heimischen Beherbergungs- und Gastronomiebetriebe 6488 Lehrlinge - vor Corona waren es fast 9000. "Ohne Ausländer werden wir es nicht schaffen", sagt Katzenschlager. Lehrlinge seien freilich das allerliebste Arbeitskräftepotenzial.