Also liegt der Schluss nahe, die nächste Regierung sollte getrost kräftig reformieren und auch unpopuläre Maßnahmen ergreifen.
Das Wahlergebnis liefert aber auch das genaue Gegenargument. Man blicke nur in die Steiermark, wo Rot und Schwarz kräftig reformieren und gerade in diesem Bundesland hat die FPÖ den ersten Platz erobert. Also liegt der Schluss nahe, man dürfe nur ja keine Reformen wagen, schon werde man vom Wähler geprügelt.
Diese These hat viele Anhänger. Da Reformen mühsam sind, liefert die vermutete, negative Reaktion der Wähler eine gute Ausrede, um einfach nichts zu tun. Außerdem wird die Behauptung, für Reformen werde man bestraft, von manchen Politologen unterstützt.
In Österreich wird in diesem Zusammenhang gern auf Wolfgang Schüssel verwiesen, dessen ständige Bekenntnisse zu Reformen dem eher glücklosen Politiker den Ruf eines Reformkanzlers eingetragen haben.
Schüssels Reformen hatten zwei kapitale Mängel. Zum Ersten: Sie waren nur in Teilbereichen echte Erneuerungen. Und: Der Öffentlichkeit wurde nicht klar gesagt, worin die Reformen bestehen und welchen Nutzen sie bringen. Auch in der Steiermark mangelt es derzeit an Überzeugungskraft.
Das Gegenbeispiel lieferte die Regierung Kreisky, die in allen Bereichen Reformen umsetzte und ihre Mehrheit ständig ausbauen konnte. Sogar nach einer kräftigen Steuererhöhung, die durchgeführt wurde, um das im Gefolge der Ölkrise 1973 bis 1975 stark gestiegene Defizit wieder zu senken, steigerte die SPÖ ihre Mehrheit auf 51 Prozent.
Ein anderes Beispiel: Um den Beitritt zum Euro zu ermöglichen, war Ende der Neunzigerjahre ebenfalls eine dramatische Steuererhöhung erforderlich. Die Bevölkerung sah die Notwendigkeit ein und die Umfragen zeigten eine eindeutige Zustimmung.
Somit ergibt die Gegenüberstellung der Ergebnisse der aktuellen Zauderer und jener der Reformer der Siebzigerjahre eine eindeutige Botschaft: Reformen lohnen sich. Einschränkung: wenn die Kommunikation funktioniert.
Allerdings: So mancher Bürger dürfte den Stillstand nur scheinbar verurteilen. Vielen ist der Protest wichtiger als konstruktive Politik und sie wählen gern ideenarme Schreihälse, die "es denen da oben zeigen".
Auch jene, die nicht Rabauken zu Triumphen verhelfen, zeichnet eine gewisse Zufriedenheit mit dem Stillstand aus. Da greift das Motto "es soll nur net schlechter wer'n".
Ist der klägliche Zustand der Politik gar das Spiegelbild einer Bevölkerung, die den Stillstand und den hohlen Protest schätzt?