Erwin Pröll ist ein außergewöhnlicher Politiker. Eine seiner bemerkenswerten Eigenschaften besteht in der Omnipräsenz. Obwohl das Bundesland Niederösterreich die beachtliche Ausdehnung von 178 Kilometern in der Nord-Süd-Richtung und 196 in der West-Ost-Richtung aufweist, schafft es der Landeshauptmann - seinem Chauffeur sei dank - in den 573 Gemeinden den Eindruck zu erwecken, ständig anwesend zu sein.
In den bald zwanzig Jahren seiner Amtszeit hat sich Erwin Pröll von einem kompetenten und ergebnisorientierten Politiker zu einem polternden Landesfürsten gewandelt, dem zwischen der Enns und der March niemand mehr zu widersprechen wagt. Das allüberall stattfindende Erscheinen des Herrschers wird so zu einem ständigen imperialen Fest.
Somit erfährt Erwin Pröll schon seit Längerem nicht mehr, was seine Schutzbefohlenen meinen und denken. Es wäre an der Zeit, er würde sich wie einst Harun-al-Raschid verkleidet unter das Volk mengen und lauschen. Auch seinen Wesir und Stellvertreter, Wolfgang Sobotka, sollte er auf den Erkundungsgang mitnehmen.
Die beiden würden lernen, dass viele Niederösterreicher, wenn sie ernsthaft krank sind, alles unternehmen, um, wenn irgendwie möglich, nur ja in ein Wiener und nicht in ein niederösterreichisches Spital eingeliefert zu werden.
Der Kalif und sein Wesir müssten dann von dem geradezu manischen Eifer ablassen, die bestehenden meist kleinen und geographisch oft ungünstig platzierten 27 Spitäler in dem Bundesland zu erhalten, auszubauen und gegen jede Reform mit Zähnen und Klauen zu verteidigen. Sie wären dann gefordert, ein Spitalskonzept zu entwickeln und umzusetzen, das einige wenige hoch leistungsfähige Schwerpunktkrankenhäuser umfasst.
Da könnten die in Niederösterreich tätigen Ärzte endlich effizient ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen und den Wiener Häusern Konkurrenz machen. Derzeit ist die Kapazität auf 27 Häuser verteilt und notgedrungen zersplittert.
Auch sollte Pröll und Sobotka klar werden, dass die Nahversorgung nur mit einem Netz umfassend ausgestatteter Ärztezentren zu sichern ist, die die medizinische Basisversorgung zu garantieren hätten. Die Kombination derartiger Zentren mit Hubschrauberorganisationen und Fuhrparks müsste bei Bedarf jederzeit den Transport von Patienten in Spitäler ermöglichen.
Diese Maßnahmen würden Bürgern nützen, den Ärzten neue Perspektiven eröffnen und nicht zuletzt das stark strapazierte Landesbudget entlasten.
Von all dem ist nicht die Rede: Erst vor wenigen Tagen hat Erwin Pröll lautstark seine 27 Spitäler verteidigt. Allen, die neuerdings wieder von einer Spitalsreform träumen und von einer bundesweit koordinierten Planung faseln, teilte der Kalif von St.Pölten mit, dass man sich von vermeintlichen Experten in Niederösterreich nicht dreinreden lasse. Punktum.
ronald barazon
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