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Die Autoraser im Schafspelz der netten Radfahrer

Weltweit, von London bis Salzburg, versuchen Kommunalpolitiker den Autofahrern eine Art urbanen Todesstoß zu versetzen.

Ronald Barazon

Man kann sie gut verstehen, ist doch vermeintlich allen klar geworden, welche abscheulichen Verhaltensweisen die Anhänger der totalen Mobilität an den Tag legen.

Ein Blick genügt und man erkennt, der Platz hinter dem Volant ist der Thron des Herrschers, von diesem aus hält er die Untertanen in Schach. Wohl dem, der rechtzeitig ausweicht. Einst war diese Darstellung zurecht männlich formuliert, längst wäre auch hier eine geschlechtsneutrale Formulierung am Platz, die die atavistisch testosteron-bestimmte Sprache aber leider immer noch nicht gewährt.

Doch das Machtgehabe hinter dem Volant ist nicht das einzige Fehlverhalten der Autofahrer. Nicht zu übersehen ist die Sucht, auch die kleinste Strecke mit dem Fahrzeug zurückzulegen. Damit nicht genug: Ob als machtgieriger Herrscher, als gehfauler Normalbürger oder nur als Autofahrer - stets lauert ein gefährlicher Geschwindigkeitsrausch. Dass die Umsetzung an Hindernissen und Verkehrsstaus scheitert, sorgt für Aggressionen und nicht für ein moderates Fahrverhalten.

Selbstverständlich ist die bislang formulierte Schuldvermutung zu korrigieren. Die vermeintlichen Verhaltensweisen treffen nicht für alle zu und daher gilt für alle die Unschuldsvermutung.

Wie so oft löst die Politik heute die Probleme von gestern und übersieht folglich die Probleme von heute. Die machtgierigen, gehfaulen, rasenden Autofahrer, also die seltenen Ausnahmen, die alle rücksichtsvollen Lenker in Misskredit bringen, haben nicht gewartet bis ihnen die Politik Fesseln anlegt. Dies war auch aus ihrer Sicht notwendig, weil die übergroße Zahl der automobilen Herrscher auf den Straßen einander wirkungsvoll gelähmt haben.

Sie haben sich längst eine Alternative geschaffen. Geschützt von der Legende, dass alle Radfahrer liebenswürdige, umweltbewusste, entschleunigte, in sich ruhende Menschen sind, toben sie nun ihre schlechten Eigenschaften als Zweiradmobilisten auf Radwegen, auf Gehsteigen und in Fußgängerzonen aus.

Sie rasen rücksichtslos dahin, betrachten Fußgänger als Freiwild, sehen jede Behinderung als persönliche Beleidigung an und fahren bis vor die Türe ihres Ziels und manchmal sogar in das Ziel hinein. Wie in den Urzeiten der Automobilisierung, als man noch "überall" einen Parkplatz fand.

In den Hintergrund gedrängt werden die netten, dahingleitenden, liebenswürdigen Radfahrer, die auch andere Verkehrsteilnehmer respektieren und mit einem Lächeln danken, wenn ihnen der Vorrang gelassen wird.

Ohne jeden Zweifel werden die Kommunalpolitiker irgendwann in ferner Zukunft erkennen, dass die Autofahrer, die sie bekämpfen, im Schafspelz der netten Radfahrer ihr Unwesen treiben. Sie werden dann vermutlich eine Rettungsgasse für Fußgänger eröffnen.