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Festspiele in dieser schönen, neuen, heilen Welt

Ist es nicht herrlich in dieser schönen Welt? Es gibt weit und breit keine Diktatoren und üble Politiker, die Demokratien zu Diktaturen pervertieren.

Ronald Barazon

Wäre dem so, müssten Festspiele Ernst Kreneks Oper "Der Diktator" aufführen, mit Wagners "Rienzi" die Rückkehr alter Machthaber geißeln oder Charlie Chaplins Film "Der große Diktator" in eine Bühnenfassung gießen.

Es werden auch keine Menschen in Kerkern zu Tode gequält, nicht aus politischen Motiven wie in Beethovens "Fidelio" oder aus sadistischer Lust wie in Paul Dukas’ "Ariane und Blaubart".

Die Staaten, die Gesellschaft, kurzum, die Menschheit respektiert heute das Individuum, schätzt den Traum des Poeten, der die Welt verzaubert. Ohne diese wunderbare Neuerung käme man an Michael Bulgakows subtilem Drama "Don Quijote" nicht vorbei.

Ach, welch ein Glück, auch die Zeit der Machtgier von Kirchenfürsten und der mörderischen Religionskriege ist in der Vergangenheit versunken. Was hätte da Dostojewskis Parabel "Der Großinquisitor" auf einer Bühne verloren, auch "Don Carlos" ist nicht zeitgemäß.

In dieser toleranten Welt bedarf es keiner Aufführung von Fritz Hochwälders "Donadieu". Man versteht auch nicht, warum manchmal noch Lessings "Nathan" gespielt wird.

Sogar die Ewiggestrigen sind geläutert, suchen nicht mehr das braune Heil und bereichern die aktuelle Harmonie der gegenseitigen Wertschätzung. Da muss Thomas Bernhards "Heldenplatz" in das Archiv absinken.

Selbst die hohlen, eitlen, gelangweilten, erfolglos nach geiler Lust gierenden Spitzen der Gesellschaft sind auch von den schärfsten Seitenblicken nicht aufzuspüren. Es gibt sie einfach nicht mehr. Hugo von Hofmannsthals "Jedermann" degeneriert zur Reliquie und Molières "Bürger als Edelmann" verliert auf Naxos seinen Witz.

Ethnisch bestimmte Banden von Jugendlichen, die arbeitslos ganze Stadtviertel unsicher machen, mit anderen Banden Kriege führen, die oft tödlich enden, sollen einst das soziale Gefüge gefährdet haben. Die Nachfolger gestalten heute die noch schönere Welt von morgen. Wollte man ihnen Leonard Bernsteins "West Side Story" zeigen, sie könnten die Handlung nicht begreifen.

Zu verdanken ist das paradiesische Glück den Politikern, die uneitel, flexibel, intelligent, sachkundig die Probleme gelöst haben und täglich verhindern, dass Probleme entstehen. Ein Musterbeispiel für die hohe Kompetenz liefern gerade die europäischen Führungskräfte, die den Zusammenhalt und die Zukunft des Kontinents auf beeindruckende Weise sichern.

Und so müssen sich Festspiele auch nicht mit dem ohnehin kaum spielbaren Werk "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus plagen. Ein Schicksal, wie es die österreichisch-ungarische Monarchie oder auch das Römische Reich erlitten haben, ist in dieser Welt von heute ohnehin undenkbar.

Roberto Benigni: La vita è bella.