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Die britischen Unternehmer freunden sich mit dem Brexit an

Die Neigung der Briten zum Austritt aus der EU ist mehr als die traditionelle, emotionale Ablehnung des Kontinents.

Ronald Barazon

Die am 23. Juni stattfindende Abstimmung über den Austritt Großbritanniens aus der EU wirft ihre Schatten voraus. Nachdem längere Zeit als sicher galt, dass die britische Wirtschaft einen enormen Schaden erleiden werde, melden sich nun die Unternehmer zu Wort und sprechen sich für einen Brexit aus.

Die britische Wirtschaftskammer macht regelmäßig Umfragen unter ihren Mitgliedern und stellte fest, dass der Anteil der Brexit-Anhänger von Jänner bis April von 30 auf 37 Prozent angestiegen ist, während die Quote der EU-Befürworter von 60 auf 54 Prozent gefallen ist. Montag publizierte die Tageszeitung "Daily Telegraph" den Appell von 300 Unternehmern, die dringend den Austritt fordern. Die "Financial Times" sieht aufgrund ihrer Umfragen
43 Prozent Brexit-Anhänger und 46 Prozent, die für den Verbleib in der EU eintreten.

Alle Erhebungen zeigen, dass sich der Anteil der Brexit-Befürworter erhöht. Angesichts der vorgebrachten Argumente müssten in Brüssel schrille Alarmglocken läuten.

Aussage Nummer 1: Die EU stagniert seit der Krise 2008, während andere Wirtschaftsräume ein respektables Wachstum zustande gebracht haben. Großbritannien sei stärker gewachsen als die übrige EU, doch werde man durch die Union behindert. Nach dem Austritt könne man stärker expandieren.

Aussage Nummer 2: Die Regulierungen ersticken die Wirtschaft. Die zahllosen Vorschriften werden als Hauptursache für das generell schwache Wachstum gesehen, weil die Behinderungen die Arbeit in den Unternehmungen extrem stark bremsen.

Aussage Nummer 3: Die Union wird schlecht geführt. Reformen kommen nicht zustande. Eine allgemeine Lähmung charakterisiert die EU.

Derzeit ist weder der Austritt noch der Verbleib vorhersehbar. Auch ist keineswegs eindeutig, ob nun der Brexit tatsächlich, wie nun immer mehr Unternehmer meinen, den Briten einen Aufschwung bringt, oder doch, wie die offizielle Meinung der Regierung, des Währungsfonds und der EU-Sprecher lautet, Milliardenverluste auslöst. Auch die Börsianer und die Versicherer sind sich uneinig. So wie man weder den Austritt noch den Verbleib, weder Vorteile noch Nachteile vorhersehen kann, weiß niemand, wie sich der Kurs der britischen Währung nach dem 23. Juni entwickeln wird. Manche meinen, das Pfund wird nach Vorbild des Schweizer Franken stark aufwerten, andere sind von einem Kurssturz überzeugt.

Großbritannien gerät jetzt in eine Art Wahlkampf, in dem die Emotionen hochkochen. Zur Gefahr für die EU entwickelt sich die Kritik der britischen Unternehmer - es ist die gleiche, die in ganz Europa die EU-Skepsis nährt.