ronald barazon
In den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts verbreitete sich eine vermeintliche Weisheit wie ein Lauffeuer: Der private Unternehmer, auch in der Erscheinungsform des Managers eines Privatunternehmens, sei der wahre Übermensch, weiblich wie männlich.
Man müsse diese Spezies nur ungestört werken und wirken lassen und schon würde sich alles zum Besten wenden. Nicht nur in den Unternehmen, auch im Staat, in der Gesellschaft. Der Staat wurde als lästige Bürokratie verteufelt, die nur die Kreativität der genialen Privaten stört.
Seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise haben die privaten Wundertäter ihren Status verloren und mussten die Staffel an neue Übermenschen weitergeben. Jetzt sind es die Aufseher und Aufseherinnen, die als heilende Medizinmänner und -frauen verehrt werden.
Aus der über zwanzig Jahre andauernden Anbetung des Privaten ist ein Vorurteil erhalten geblieben: Beamte seien jedenfalls rückständig, ahnungslos, also unfähig. Somit konnte diese Gruppe nicht in den Fokus der Verherrlichung rücken. Das blieb den Aufsehern vorbehalten und der Umstand, dass Aufseher nichts anderes als Bedienstete einer staatlichen Stelle sind, vulgo Beamte, blieb unbemerkt.
Die Beamten, die nicht so heißen, tauchen in den verschiedensten Bereichen auf. Mit besonderem Eifer zeigen die neuen Übermenschen ihren prominentesten Vorgängern, den Bankdirektoren, wer denn nun das Sagen und vor allem die Weisheit besitzt. Auch Versicherer, Finanzdienstleister, Makler und andere verdächtige Verursacher der Finanz- und Wirtschaftskrise werden von den neuen Ordnungshütern gepeinigt.
Den Unternehmern und Managern, denen man gestern noch Wunderkräfte beimaß, wird heute grundsätzlich jede Fähigkeit abgesprochen, ein Unternehmen zu führen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Betrieb die vergangenen Jahre erfolgreich gemeistert oder in der Krise Verluste gemacht hat.
Der Staffellauf der Übermenschen beschränkt sich nicht auf die Manager und die Aufseher. Die Sehnsucht nach besonderen Wesen, die in der Lage sind, für alle zu denken und alle und alles zu lenken, ist offenbar fest in den Abgründen der Psyche verankert. Dies zeigt sich unter anderem an der Hoffnung, dass Regierungen für das allgemeine Glück sorgen können, und an der empörten Verärgerung, wenn diese Erwartung enttäuscht wird.
Minister, Ärzte, Pfarrer, Manager, Mütter, Väter, Professoren, Experten, Aufseher und viele andere wechseln einander in der Rolle der Übermenschen ab, bis das Publikum realisiert, dass es sich "nur" um Menschen handelt.
Warum bedarf es einer besonderen Betonung, dass kreative Unternehmer und Beamte, die für die Rahmenbedingungen sorgen, dass beide unverzichtbar sind? Dass jeder Einzelne gefordert ist und nicht erwarten kann, dass eine höhere Autorität alle Probleme löst?