Übersehen wird, dass die Tätigkeit als Abgeordneter zum Nationalrat keinen Hauptberuf darstellt. Bürger erklären sich bereit, neben ihrem Hauptberuf Zeit und Mühe der res publica, der Allgemeinheit, zu widmen. Diese Bereitschaft ist für das Funktionieren der Demokratie unerlässlich, da nur auf diese Weise in der gesetzgebenden Versammlung die Realität der Gesellschaft berücksichtigt wird.
Die Tätigkeit im Nationalrat ist kein "Geschäft", sondern ein Einsatz, ein soziales Engagement. Die Bezüge sind auch kein Lohn, sondern eine Aufwandsentschädigung. Wie die Arbeit im Nationalrat kein "Geschäft" darstellt, so darf auch der Hauptberuf nicht als "Nebengeschäft" diskriminiert werden. Das Nebengeschäft ist schlicht die Existenzbasis der Mandatare.
Die Offenlegung der Einkommen aus dem Hauptberuf ist somit kein Beitrag zur Transparenz, sondern eine Verletzung der Privatsphäre. Man darf sich nicht wundern, wenn unter den nun geschaffenen Umständen die ohnehin schon geringe Bereitschaft in der Bevölkerung, eine politische Funktion zu übernehmen, weiter abnimmt.
Die Perversion des Einsatzes für die Allgemeinheit zu einem Hauptgeschäft und der bürgerlichen Existenz zu einem Nebengeschäft entsteht aus dem geradezu manischen Eifer, Korruption zu bekämpfen. Man geht von dem Generalverdacht aus, dass Abgeordnete nicht im Interesse der Gesamtheit agieren, sondern gegen viel Geld die Umsetzung dubioser Forderungen problematischer Gruppen betreiben.
Pauschalverdächtigungen sind grundsätzlich abzulehnen. Allerdings kann man nicht ausschließen, dass auch das vermutete Fehlverhalten stattfindet. Ausschließen kann man aber wohl, dass ein korrupter Abgeordneter Schmiergelder in der Deklaration seiner Einkommen ausweist.
Der Begriff Nebengeschäft macht verräterisch deutlich, dass die Tätigkeit im Nationalrat als Hauptgeschäft gesehen wird. Hauptberufliche Abgeordnete ohne sonstigen Beruf haben keine Verankerung in der Bevölkerung und sind somit nicht in der Lage, ihre Aufgabe im Parlament voll zu erfüllen.
Sie sind aber von der Politik abhängig: Die Wünsche der Mächtigen in der jeweiligen Partei werden zu Befehlen, Wünsche aus dem eigenen Wahlkreis, mögen sie noch so unsinnig sein, müssen im Interesse des politischen Überlebens vertreten werden.
Das traurige Fazit: Die einsatzbereiten Abgeordneten werden vertrieben, die unanständigen nicht entlarvt, die Berufspolitiker dominieren.