SN.AT / Kolumne / Barazon / Barazon

Die vergessene, unterschätzte, kostbare Genossenschaft

Die Genossenschaft gilt als überholte Rechtsform, die in der modernen Welt fehl am Platz wäre.

Ronald Barazon


Die Genossenschaft gilt als überholte Rechtsform, die in der modernen Welt fehl am Platz wäre. Heute findet nur die Aktiengesellschaft Anklang als angemessener Rahmen für ein Unternehmen. Und ist ein Betrieb für die AG zu klein, so mag er in einer GesmbH sein Glück finden. Die GesmbH ist noch als gleichsam kleine AG gesellschaftsfähig. Aber eine Genossenschaft, nein danke.

Betrachtet man allerdings die Wünsche der Zeitgenossen und besser noch ihre Beschwerden, so empfähle sich geradezu eine Begeisterung für die Genossenschaft.

Was sind die großen Mängel der modernen Gesellschaft? Das Verschwinden des Individuums in der Masse, der mangelnde Respekt für den Einzelnen und seine Leistung, das Fehlen klarer Aufgaben, deren Bewältigung Erfolgserlebnisse zeitigen könnte, und die Ohnmacht angesichts unverständlicher Entscheidungen in abgehobenen Zentralen gigantischer Konzerne.

Und wie lauten die Antworten? Die innere Emigration, um das doch notwendige Erscheinen am Arbeitsplatz zu ertragen. Gelingt dieser psychologische Selbstbetrug nicht, so bleiben Alkohol, Zigaretten, Drogen, und wenn das auch nichts nützt, folgt der Weg in den Burn-out. Die Kräftigeren wählen den Weg in die Selbstständigkeit, die nicht selten zur Selbstausbeutung verkommt, aber immerhin meist den Frust vermeidet.

Was helfen da Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung? Nichts. Nicht einmal die Besitzer von Vorstandsmandaten oder Geschäftsführerpositionen sind alle glücklich, da viele den Herausforderungen nicht gewachsen sind.

Die geschmähte Genossenschaft eröffnet eine Alternative. Jedes einzelne Genossenschaftsmitglied ist als Mitwirkender und Miteigentümer des Unternehmens anerkannt. In der Aktiengesellschaft sind die Mitarbeiter und die Aktionäre mit seltenen Ausnahmen zur Anonymität verurteilt.

Nun stellt sich die Frage, warum die kostbare Rechtsform Genossenschaft in Misskredit geraten ist. Entscheidend ist die Fehlinterpretation des Begriffs Förderauftrag, der als Verpflichtung zur Wohltätigkeit falsch verstanden wird.

Der Förderauftrag besteht in der Förderung der Genossenschaftsmitglieder in dem Bereich, für den die Kooperative geschaffen wurde. In überschaubaren Einheiten wird gemeinsam eingekauft, gemeinsam verkauft, gemeinsam gebaut, gemeinsam finanziert und wie die Zwecke auch noch definiert sein mögen.

Das einzelne Mitglied bleibt selbstständig, die Genossenschaft besorgt Aufgaben, die den Einzelnen überfordern, und stützt so die Selbstständigkeit der Mitglieder.

Dieses Konzept entspricht optimal der höchst aktuellen Sehnsucht der Menschen, als tüchtige Individuen ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Leider wird diese Perspektive nicht einmal in vielen Kooperativen gesehen und gelebt, außerhalb ist die Genossenschaft vollends ein unbekanntes Wesen.