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Ein Prozent hier, ein Prozent da, ein Prozent überall

Alles wird gut! Das Wachstum springt an und löst alle Probleme. Oder zehren neue Belastungen den Segen wieder auf?

Ronald Barazon

Allerorten wird die gute Kunde mit Freude aufgenommen. In der EU und insbesondere in der Eurozone ist eine Belebung der Wirtschaft zu beobachten. Das Wachstum wird heuer nicht, wie in den letzten Jahren, bescheiden knapp über null Prozent bleiben, sondern deutlich anziehen. Ein Prozent, vielleicht sogar zwei Prozent sind möglich.

Die Wirtschaftsleistung der Eurozone entspricht knapp 11.000 Milliarden Euro. Ein Prozent wären 110 Mrd. Euro, zwei 220 Mrd. Euro. Also besteht tatsächlich Grund zur Freude.

Gleichzeitig wird die weniger frohe Kunde verkündet, dass auch die zuletzt geringe Inflation wieder anziehen dürfte. Auch um ein oder zwei Prozentpunkte. Also wird die Teuerung die zusätzliche Wirtschaftsleistung wieder aufzehren. Nicht unbedingt zur Gänze. Aber die Preise werden die Freude schon trüben.

Ein Prozent hier. Ein Prozent da. Doch auch anderswo geht es um ein Prozent.

Genauer um einen Prozentpunkt: Bekanntlich hält die Europäische Zentralbank seit Jahren die Zinsen künstlich in etwa bei null, wodurch sich die Staaten aberwitzig viele Milliarden bei der Finanzierung der Schulden sparen. In absehbarer Zeit wird dieser Trick nicht mehr funktionieren und die Zinsen werden steigen. Mindestens um einen Prozentpunkt, eher um mehr.

Wieder ein Prozentpunkt. Ein Prozent der Schulden, also ein Prozent einer anderen Bemessungsgrundlage. Nur: Die Schulden der Eurostaaten sind fast so hoch wie die Wirtschaftsleistung und betragen knapp 10.000 Milliarden Euro. Ein Prozent sind in diesem Zusammenhang 100 Mrd. Euro.

Das Jahresdefizit der Eurostaaten beträgt derzeit knapp 160 Mrd. Euro. Wenn die Zinsen um einen Prozentpunkt steigen, springt der Betrag auf 260 Mrd. Dann werden die vereinigten Finanzminister alles unternehmen, um von den Bürgern der Eurozone weitere Milliarden zu kassieren.

Und noch ein Prozent: Die USA verlangen bekanntlich, dass die Europäer im Rahmen der NATO mehr für ihre Verteidigung zahlen. Der zusätzliche Betrag müsste in etwa einem Prozent der Wirtschaftsleistung entsprechen, also wieder etwa 110 Mrd. Euro. Das ganz und gar neutrale Österreich müsste natürlich nicht mitzahlen, aber die Summe wäre doch aufzubringen und würde überwiegend die Budgets des Euroraums belasten.

Ein Prozent mehr Wachstum minus ein Prozent mehr Inflation minus ein Prozent mehr Kosten der Staatsschulden minus ein Prozent mehr Militärausgaben ergeben minus zwei Prozent. In etwa.

Die Realität wird diese grobe, unerfreuliche Rechnung hoffentlich Lügen strafen.