SN.AT / Kolumne / Barazon / Barazon

Geht es nicht um die Leseschwäche der 10-Jährigen?

Angesichts der zahllosen Bildungsexperten, die die Politik und die Medien bevölkern, ist es ein gefährliches Unterfangen, eine Äußerung zu diesem Thema zu riskieren.

Ronald Barazon

Dies sei hier dennoch unternommen. Allerdings gilt es nicht die Zahl jener zu vergrößern, die, ohne jemals als Lehrer gearbeitet zu haben, die Schule reformieren wollen.

Hier sei eine bescheidene Frage angebracht: Besteht nicht das Hauptproblem des österreichischen Schulwesens in dem Umstand, dass zahlreiche Kinder nach der Volksschule nur beschränkt lesen, schreiben und rechnen können? Ist nicht dieses Phänomen keineswegs auf Kinder mit dem viel zitierten Migrationshintergrund beschränkt? Leiden nicht auch die österreichischen Kinder unter für Zehnjährige unerträglichen Defiziten?

Zumindest werden diese Umstände ständig von Lehrern und anderen Personen, die viel mit Zehnjährigen zu tun haben, beklagt. Also sei davon ausgegangen, dass dieses Problem tatsächlich existiert und die betroffenen Kinder in den folgenden Jahren beeinträchtigt.

Die folgenden Jahre sind die Jahre zwischen zehn und 14 oder 15. Nur steht diese Periode und nicht die Zeit zwischen sechs und zehn im Mittelpunkt der bildungspolitischen Diskussion. Zur gemeinsamen Schule der Zehn- bis 14- oder 15-Jährigen - "Gesamtschule" - äußern sich alle berufenen und nicht berufenen, vermeintlichen und tatsächlichen Bildungsexperten. Die "Gesamtschule" löst heftige Kontroversen aus.

Wie in so vielen Bereichen wird also auch in der Bildungsdebatte eifrig über ein Nebenthema gestritten, aber das Kernproblem nicht zur Kenntnis genommen. Somit seien einige Ergänzungsfragen gestellt.

Warum sind die Zehnjährigen nicht entsprechend geschult? Ist das Programm der Volksschulen falsch? Nimmt das System nicht zur Kenntnis, dass nachweisbar die Sechs- bis Zehnjährigen besonders aufnahmefähig sind? Setzen sich jene Eltern durch, die Kinder lang im Babyzustand bewahren wollen, unter dem Motto "Ach, sie sind ja noch so klein"? Welche Rolle spielt der Terror vieler Eltern, die durch Interventionen gute Noten erzwingen? Versagen die Lehrer? Antworten von den unglaublich zahlreichen Experten fehlen.

Und eine weitere Frage. Es wird behauptet: Alle Zehnjährigen sollen in eine Schule, eine Differenzierung dürfe so früh nicht stattfinden, in diesem Alter sei eine Entscheidung zu vermeiden, die den künftigen Lebensweg vorzeichnen kann. Es wird aber auch behauptet: Das einheitliche Schulsystem erstickt die Talente der Kinder, die in einer empörenden Gleichmacherei alle in die Mittelmäßigkeit gedrückt werden. Was gilt nun, verehrte Experten, eine Einheitsschule für alle oder eine individuelle Talenteförderung?

Zum Abschluss noch eine kleine Frage: Glaubt jemand ernsthaft, dass der bankrotte Staat zusätzlich Tausende Lehrer anstellen wird, die sich um die einzelnen Talente bemühen werden?