Außer den Briten sind alle Europäer nur am erfolgreichen Gedeihen der EU interessiert und leisten übergroße Beiträge auf diesem Weg.
Es kann auch nur einem britischen Premierminister einfallen, die Bevölkerung nach ihrer Meinung zu befragen. Außer den 17,4 Millionen Briten, die offenbar in plötzlicher Verwirrung für den Austritt gestimmt haben, würde kein anderes Volk sich derart perfid verhalten.
Das sind in etwa die Botschaften aus Brüssel, einer Stadt, in der das Gedächtnis nur kurze Zeitspannen zu kennen scheint.
Sonst würden sich die empörten Wahrer der Union daran erinnern, dass die Franzosen am 29. Mai 2005 in einem Referendum das Projekt einer Europäischen Verfassung zu Fall gebracht haben. Also dafür gesorgt haben, dass die durch Erweiterungen immer größer werdende EU kaum funktionieren kann.
Mittlerweile behindern einander tagtäglich 28 Regierungen, 28 Parlamente, 751 EU-Parlamentarier und 28 Kommissare. Die geplante Verfassung sollte überschaubare, effiziente Strukturen schaffen.
Nicht nur die Franzosen haben Nein zur Verfassung gesagt. Drei Tage später, am 1. Juni 2005, sagten auch die Niederländer in einer Abstimmung Nein.
Damit nicht genug: Die vereinigten Staats- und Regierungschefs der damaligen EU sorgten dafür, dass der Verfassungsentwurf von vornherein nicht zu weit ging.
Ursprünglich war geplant, dass, wie in jeder Demokratie, das EU-Parlament die Gesetze beschließen sollte und die Regierungen die Verwaltung zu besorgen hätten. Auch eine klare Trennung zwischen den Aufgaben der EU-
Institutionen und der Staaten war vorgesehen. Beschlossen wurde allerdings Folgendes: Das EU-Parlament darf ohne Zustimmung der Regierungen der Mitgliedsstaaten keine Beschlüsse fassen.
Nach dem Nein der Franzosen und der Niederländer wurde das Verfassungsprojekt fallen gelassen und der "Lissabonner Vertrag" geschlossen, der auch 2009 in Kraft trat. Bei dieser Gelegenheit wollte man die endlosen Diskussionen zwischen EU-Parlament und EU-Rat beschleunigen.
Um dieses Ziel zu erreichen, verfiel man auf die gloriose Idee, die Macht der EU-Kommission auszubauen. Seit damals beschließen das Parlament und der EU-Rat der Regierungen "delegierte Rechtsakte", die die Kommission in die Lage versetzen, nach eigenem Gutdünken Verordnungen zu erlassen, die in der gesamten EU gelten, ohne dass nationale Parlamente oder Regierungen eingreifen können.
Somit bestimmen die 32.000 Beamten der Kommission das Schicksal Europas. Könnte es sein, dass das nicht nur die Briten stört?
