"Wolf und Lamm werden bei einander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie die Rinder, und die Schlange sich von Erde nähren: sie werden keinen Schaden tun, noch Verderben anrichten." Diese hoffnungsvolle Friedensverheißung des Jesaja hat sich bislang nicht erfüllt. Die Juden warten auf den Messias. Für die Christen ist Jesus der Messias, der allerdings für die Vollendung der Erlösung wiederkommen muss. Die Muslime hoffen gemäß einer Prophezeiung des Mohammed ebenfalls auf die Rückkehr Jesu, ein Umstand, der Islamisten wenig bekannt sein dürfte.
Erstaunlich ist, wie wenig die immerhin schon Jahrtausende dauernde Wartezeit genützt wird. Man könnte doch annehmen, dass der Messias nichts dagegen hätte, in eine schon halbwegs friedlichen Welt zu kommen. Es hat allerdings den erschreckenden Anschein, als ob die Menschheit noch unbedingt ihrer unerträglichen Sucht nach Streit und Blutvergießen ausgiebig frönen möchte, bevor tatsächlich ein umfassender Frieden diesem Treiben ein Ende bereitet.
Diese Schlussfolgerung wird von den friedfertigen Christen, Juden und Muslimen zurückgewiesen. Man verweist auf die Fanatiker, nur diese würden Unfrieden stiften, Religionskriege führen, Andersgläubige verfolgen und Frauen missachten. Die Friedfertigen sehen sich als tolerant, Nächste liebend und respektierend, kurzum als jene, die die Prophezeiung des Jesaja bereits jetzt leben, also dem Messias schon den roten Teppich für die Landung ausrollen.
Fraglich ist nur, ob es genügt friedfertig zu sein. Diese Eigenschaft paart sich oft mit einer weiteren Hoffnung, die nicht auf den Messias abstellt, sondern sehr aktuell den Alltag bestimmt: Man hofft, dass die Regierung oder eine andere Autorität die Dinge zum Besten fügt. Und ist jederzeit bereit, die Unfähigkeit der Führer und Lenker wortreich anzuprangern.
Es gilt, die Ähnlichkeit der beiden Zugänge zu erkennen: Nach Jesaja wird der Erlöser der Welt den Frieden bringen, nach dem Stammtisch wird die Beseitigung aller Mängel und die Gestaltung der Zukunft von "denen da oben" erwartet.
Nur: Derzeit bestimmt das Chaos den banalen Alltag. Unklar ist, wie sich die Wirtschaft weiter entwickelt, wie der Arbeitsmarkt in Zukunft aussehen wird; das Verhältnis zwischen Frau und Mann ändert sich, die Kinder sehen sich bisher unbekannten Herausforderungen gegenüber; die Weltpolitik taumelt von einer Krise in die andere.
Unter diesen Umständen kann man leider nicht warten, bis der Messias kommt oder die Regierung Wunder wirkt. Gefordert sind der Einsatz, die Kreativität, der Optimismus und die Ausdauer jedes und jeder Einzelnen.
