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Nostalgie ergibt keine wirksame Interessenvertretung

Die "Metaller" wehklagen über die Perfidie der Unternehmer, ein altes Ritual nicht mehr einhalten zu wollen.

Ronald Barazon


Dieses Ritual bestand in der Inszenierung einer großen Auseinandersetzung um den Prozentsatz der nächsten Lohnerhöhung. Mehrere Wochen wurde ein gnadenloses Tauziehen auf der Bühne der Sozialpartnerschaft gespielt, um letztlich in einer dramatischen Nachtsitzung, knapp vor einem Streik, doch noch eine Einigung zu feiern.

Die "Metaller" bestimmten das Maß für alle weiteren Lohnerhöhungen.

Die Unternehmer sind nicht mehr zu einem Gesamtabschluss mit den Metallern bereit. Das Argument: Die Gewerkschaft umfasst Großunternehmen und Kleinbetriebe aus den verschiedensten Sparten, die nicht einem Kollektivvertrag unterliegen können. Man will nun für die einzelnen Bereiche gesonderte Abschlüsse verhandeln.

Das Argument ist nachvollziehbar. Der Ärger der Gewerkschafter ebenfalls. Nur übersehen die "Metaller", dass die einst so mächtige Gewerkschaft der Metall- und Bergarbeiter nicht mehr existiert, dass in einer facettenreichen, hoch entwickelten Wirtschaft nicht mehr Hunderttausende Stahlarbeiter alle Räder stillstehen lassen können.

Aus diesem Grund ist auch die Metaller-Gewerkschaft in der PRO-GE aufgegangen, die nun die Arbeiter in den Branchen Metall, Bergbau, Energieversorgung, Chemie, Papier, Glas, Mineralöl, Textil, Bekleidung, Leder, Nahrung, Genuss, Arbeitskräfteüberlassung, Abfall- und Abwasserwirtschaft sowie in der Land- und Forstwirtschaft vertritt.

PRO-GE ist etwa so stark wie früher die Metaller allein.

Der Bund aller Gewerkschaften ÖGB zählt 1,2 Millionen Mitglieder, davon rund 400.000 aus dem öffentlichen Bereich und geschätzt über 300.000 Pensionisten. Von den 2,8 Millionen Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft vertritt der ÖGB somit nur mehr knapp 500.000, also etwa 17 Prozent, in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts waren es rund 50 Prozent.

Dass unter diesen Umständen der ÖGB geschwächt erscheint, ist nicht weiter erstaunlich. Erstaunlich und bedauerlich ist, dass die Arbeitnehmerschaft sich in dieses Eck treiben lässt. Sie hätte mit der Arbeiterkammer eine Interessenvertretung, die durch die Pflichtmitgliedschaft 100 Prozent der Beschäftigten in der Privatwirtschaft vertritt und somit kraftvoll der Wirtschaftskammer entgegentreten könnte, die auch auf Basis der Pflichtmitgliedschaft für 100 Prozent der Unternehmer spricht.

Die Verlagerung der Kollektivvertragsverhandlungen von der Gewerkschaft zur Arbeiterkammer wäre problemlos möglich. Offenbar aus nostalgischer Erinnerung an die guten alten Zeiten poltert man lieber als "Metaller", statt die Arbeiterkammer als mächtiges Instrument zur Vertretung der Arbeitnehmerinteressen einzusetzen.