Die Sympathiekundgebungen aus Washington und Brüssel für die Demonstranten in Moskau und in Kiew haben einen üblen Beigeschmack. Die selbstgefällige Empörung der freien Welt über die Verletzung der demokratischen Grundrechte ist nur die Fortsetzung der hoffärtigen Überheblichkeit des Westens, die zur Krise in Russland und in der Ukraine geführt hat.
Zur Erinnerung: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ritten in Moskau die Wirtschaftsprofessoren aus den USA ein und priesen die Heilskräfte des freien Markts. Man möge nur alles dem freien Spiel der Kräfte überlassen und schon werde auf wunderbare Weise der Wohlstand einkehren.
Die russische Regierung unter Boris Jelzin glaubte den Weisen aus dem Westen mit dem Effekt, dass die ohnehin marode Wirtschaft zusammenbrach, die Inflation 1000 Prozent erreichte, alle bescheidenen Vermögen ruinierte und die ärmlichen Pensionen zunichtemachte. Für die Betroffenen gilt Wladimir Putin als der Retter, der wieder Ordnung in das Chaos brachte.
In der Ukraine verhieß die orange Revolution Wohlstand und Freiheit. Tatsächlich haben einige Abenteurer gigantische Vermögen angehäuft, während die Bevölkerung eine Verschlechterung der Lage hinnehmen musste. Die einen protzten mit den teuersten Autos, während die anderen kaum die Miete zahlen konnten und ihre alten, rostigen Fahrzeuge flickten. Die Symbolfigur dieses Raubzugs ist die vom Westen gefeierte Julia Timoschenko.
Die westlichen Banken verführten die Konsumenten mit Krediten, die mit 25 Prozent verzinst wurden und die Bezieher von 300 oder vielleicht 700 Euro im Monat überforderten. Als die Inkassanten an der Wohnungstür standen und die rückständigen Raten einforderten, war die Begeisterung für die freie Marktwirtschaft endgültig zerstört.
Der Westen hätte längst mit einem Hilfsprogramm nach dem Vorbild des Marshall-Plans der USA für Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg in Osteuropa für die Demokratie und die freie Marktwirtschaft werben müssen. Davon war nicht die Rede und auch jetzt, zuletzt sogar vor wenigen Tagen, wird eine derartige Aktion von der EU rundwegs ausgeschlossen.
Stattdessen suhlen sich die Politiker im Elfenbeinturm ihrer Abgehobenheit und die Manager agieren wie Goldgräber im Rausch. Dieses Verhalten hat im Westen zur Lähmung der Politik und zur Finanzkrise geführt. Der reiche Westen hat die Attacke zwar besser als der arme Osten vertragen, die Folgen der Krise sind aber schlimm genug. Auch die politische Konsequenz ist vorerst nicht so dramatisch ausgefallen wie im Osten, aber die Tendenz gegen die Demokratie und hin zur Sehnsucht nach dem starken Mann ist deutlich zu erkennen: Nicht zufällig sind in Westeuropa die Rechtsparteien auf dem Vormarsch.
Die netten Grüße an die bewundernswerten Demonstranten kann sich der Westen sparen.