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Von dieser Klippe würde mancher gern stürzen

Mit nervenzerfetzender Spannung blickte die Welt wochenlang in die USA.

Ronald Barazon

Zum Schreckenswort wurde die "Fiskalklippe", über die die USA zu stürzen und die Weltkonjunktur mit in eine Krise zu reißen drohten. Im letzten Moment konnte verhindert werden, dass aufgrund älterer Regelungen schlagartig Steuererhöhungen und Ausgabenstreichungen erfolgten. Die nun getroffene Lösung bedeutet noch lang keine Sicherheit. Das Zittern geht weiter.

Die besorgten Europäer fragen sich, ob sie angesichts der eigenen Wirtschaftsschwäche bangen oder sich über die Probleme der Weltwirtschaftsmacht freuen sollen. Die Freude überwiegt eindeutig. Bei näherer Betrachtung wird die Freude schal und weicht dem Wunsch, doch bitte auch von einer vergleichbaren Klippe bedroht zu werden.

In den USA werden Bezieher von Jahreseinkommen über 400.000 Dollar für die obersten Einkommensteile einen Steuersatz von 39,6 Prozent statt bisher 35 Prozent bezahlen müssen. Diese Korrektur, die einen entscheidenden Beitrag zum Abbau des Staatsdefizits leisten wird, konnte nur mühsam durchgesetzt werden, da die Betroffenen ihre Welt untergehen sahen.

Es gibt auch in Österreich einen vergleichbaren Grenzsteuersatz. Er gilt für Einkommen zwischen 11.000 und 25.000 Euro im Jahr, also für Personen, die ein Zehntel der empörten Amerikaner verdienen. Nur regen sich die geduldigen Europäer nicht auf. Schon ab einem Einkommen von 60.000 Euro im Jahr gilt in Österreich ein Grenzsteuersatz von 50 Prozent, der auch nicht Gegenstand von politischen Kämpfen ist.

In den USA werden Steuern vom Bund, von den Staaten und von den Gemeinden eingehoben, wobei die verschiedensten Kategorien bestehen. Alle zusammen entsprachen bisher nur 25 Prozent des Sozialprodukts, da sogar die niedrigen Sätze durch zahllose Ausnahmen gemildert werden. Die nun beschlossenen Anhebungen dürften nach vorläufigen Schätzungen eine Steigerung auf 26,5 Prozent auslösen.

Wollte man das jährliche Defizit des Staates von über 1000 Milliarden Dollar zur Gänze über Steuern beseitigen, so müsste dieser Satz auf etwa 33 Prozent angehoben werden. Damit wären die Steuern in den USA immer noch deutlich niedriger als in Europa und der Staatshaushalt wäre ausgeglichen. An eine derartige Rosskur denkt aber niemand in den USA.

Vielmehr steht eine Kürzung der Ausgaben zur Debatte. Allein das Verteidigungsbudget beträgt trotz Kürzungen derzeit immer noch 660 Milliarden Dollar im Jahr. In Kriegsphasen steigt dieser Betrag auf über 900 Milliarden. Würden sich die USA von ihrer Rolle als Weltpolizist verabschieden, hätten sie sehr bald keine Budgetprobleme.

Europa hat höhere Steuern, spart beim Militär, hat dennoch hohe Defizite und hohe Schulden, ein deutlich niedrigeres Sozialprodukt pro Kopf und derzeit im Gegensatz zu den USA kein Wachstum. Teuflisch viele Klippen.