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Alles geht so schnell, sogar der Sommer (Teil 2)

Robert Plant, Frank Castorf und Luk Perceval stürzen durch eine ewige Nacht.

Bernhard Flieher

Jetzt also noch einmal die Sache mit der Zeit, mit der der Sommer rast und den Jahren, die dahinfliegen. Oder genauer: Die Sache damit, dass es die Zeit gar nicht gibt und der Sommer halt immer wieder vorbeigeht. Manchmal rast sie, die Zeit. Manchmal steht sie. Bloß die Zeiger auf der Uhr oder dieser Tage halt die Zahlen auf dem Handy, rühren sich in einer genormten Geschwindigkeit. Zeiger und Zahlen sind aber lediglich die Hilfsmittel der Gefühllosen. Wie nämlich könnte es sonst sein, dass sich die sechs Stunden "Hunger" von Frank Castorf auf der Pernerinsel länger anfühlen, als mir einst die zwölf Stunden von Luk Percevals "Schlachten" vorkamen? Oder wie kann es sein, dass einem ein so genannter Song von irgendeinem DJ, der gerade in der Hitparade vorne liegt, elend ewig vorkommt, während jetzt beim nächtlichen Nachhören ein Album von Led Zeppelin wie ein Funkenflug über dem Lagerfeuer der Geschichte vorkommt?

Ja, so geht das mit der Zeit, die einem irgendwann spätabends einholt: Denn, Entschuldigung vielmals, ich habe gestern auf Robert Plant, Sänger von Led Zeppelin und also einer der facettenreichsten Sänger des Rock, vergessen. Er hatte seinen 70. Geburtstag und also suche ich mir drei, vier Zeppelin-Alben heraus und reise zurück, so wie ich immer, wenn ich auf der Pernerinsel Theater sehe, zu Perceval und "Schlachten" zurückreise. Und das ist ungerecht, denn die Erinnerung ist, wie die Zeit überhaupt, eine Betrügerin. Da gibt es keine Wahrheit, sondern bloß eine Sicht einer Wirklichkeit, die sich im Lauf der Jahre von alleine zusammenbaut. Wie bei Led Zeppelin und Robert Plant. Deren Kraft und Mächtigkeit tauchten auf, als sie - nach dem Tod des Schlagzeugers John Bonham in den 1980er Jahren - schon Geschichte waren. Sie begegneten mir zu einer Zeit, als ich wusste, dass sie längst Legenden waren. Das änderte nichts an der Wucht, mit der diese Band damals in einer schäbigen, kleinen Disco im Innviertel ins Leben trat und nicht mehr fortgehen wollte. So wie "Schlachten".

Das ist ungerecht, weil sie alles, was danach kommt, oft überschatten, weil die Erinnerung halt oft mächtiger (und leichter zurechtzurichten) ist als die Gegenwart. Besonders ungerecht ist es, wenn man bedenkt, dass Robert Plant nach seiner Zeit in der größten Rockband der Welt so vieles Aufregendes schuf. Er reiste durch die Welt. In seine Kunst fließen das keltische Erbe seiner Heimat ebenso ein wie die hypnotischen Klänge Nordafrikas und der Wüste und wie die ganze Geschichte der Rockmusik vom Blues, über Country bis zum Hardrock. Und doch ist es dieser erste Moment, als "What Is And What Should Never Be" und dann noch "Moby Dick" über mich kamen in den frühen Morgenstunden in der schäbigen Disco, den ich mit Plants Namen am stärksten verbinde. Da kann mit der Zeit und in den Jahren und in all den Sommern passieren was will, da kann der legendäre Castorf kommen: Es wird der Perceval blieben, der die Pernerinsel für mich besetzt hat.