Kurz und bündig zum Beginn: Die Superstars fahren auf Urlaub. Sie haben ihn verdient. Der eine, Cristiano Ronaldo, weil er bei dieser WM ohnehin ein paar mal Verzückung bereiten konnte. Der andere, Lionel Messi, weil er umgeben von einem Team dahintraben musste, das sich so auf ihn verließ, dass er und das Team verlassen irrten. Die beiden werden aber nur im Freibad-Public-Viewing abgehen. Dort, wo eh immer weniger der Fußball gesucht, als die Superstars angeglotzt werden, werden sie fehlen. Fürs Geschäft mit den Mitläufern, die nur bei Weltmeisterschaft fiebern, schaut es jetzt schlecht aus. Aber das Geschäft wird wieder anlaufen und die WM-Wellenreiter schlagen sich nun halt auf die nächste Seite, finden plötzlich die Schweiz sexy, Schweden nicht einmal so schlecht, Kroatien überraschend oder gar Spanien, den logischen Favoriten. Mit den Rückgratlosen will man aber nichts zu tun haben. Sie sollen auch auf Urlaub fahren mit CR7 und dem kleinen Wuselmann. Also, baba Burschen, nichts für ungut, wir werden euch nicht vermissen und bis nächstes Jahr in der Champions League!
Aber doch noch einmal kurz und als Antithese zu Messi, der nun wohl ein Unvollendeter bleiben wird (also mit allem aber ohne WM-Titel). In seinem Fuß haben Genie und Kunst und Kreativität und also unser helles Staunen beim Zusehen ein Daheim. Daran besteht kein Zweifel. Aber das hilft alles nichts, wenn rund um das Genie Hilflosigkeit und Lethargie das Handeln bestimmen.
Um all die Macht des Genies zur Geltung bringen zu können, braucht es ein weiteres Element: die Arbeit - oder zumindest eine Idee davon, dass ohne das Ineinandergreifen von Taktik und Anstrengung nichts Wertvolles passieren kann. Vorahnung und Ahnung treffen nur in enger Verbrüderung zielsicher. Und nur ein genauer Plan, den es immer geben muss, kann Momente der Überraschung gebären. Oder anders gesagt: Ohne tausend andere Frauengesichter zu probieren, hätte Leonardo da Vinci keine Mona Lisa gemalt.
Womit wir nun staunend und geschwind bei Edinson Cavani angelangt sind, der ja in Paris spielt, wo die Mona Lisa im Louvre lächelt. Aber nur für einen kurzen Moment sind wir bei ihm, denn Cavani ist viel zu raffiniert, zu flink, zu vorhersehend, um sich einfangen zu lassen. Und noch mehr staunend mitansehen konnten wir, wie er vollendete, also zum louvrereifen Gemälde machte, was die Mannschaft aus Uruguay skizzierte, probierte und niemals müde wurde zu erreichen.
Es ist aber nicht die Überraschung oder das Staunen der Ahnungslosen, die einen überkommen, weil da gerade ein angeblicher Underdog zubeißt. Uruguay mag nicht zu den heißesten Kandidaten dieser WM gezählt haben. Nach dem Spiel gegen Portugal sollte aber keiner ausgelacht werden, der im Spiel dieses Team mehr erkannte, als bloß eine Mannschaft, die halt tapfer gegen den amtierenden Europameister siegen konnte.
Zu sehen war ein Team, in dem jeder Strich, jeder Ton stimmte (mit Ausnahme der ohnehin bekannten, offenbar krankhaften Eigenschaft von Herrn Suarez, sinnlos Fouls zu schinden). Und dort, wo dieser Gesamtklang zum Fortissimo wird, wo Tore gemalt werden, treffen wir an diesem Abend auf pure Schönheit - und diese Schönheit, die Reinheit des Tones in diesem Spiel hat einen Namen. Und dieser Name ist Edinson Cavani. Gut, Frankreich hatte gegen Argentinien Kylian Mbappe, den jungen Wilden, den 19-jährigen Durchstarter.
Im Vergleich zu Cavani, 31 Jahre alt, sprüht Mbappe (noch) nur schnell ein paar Graffitis im Vorbeisausen. Er kann rennen. Und wie! Das kann er schnell und mit dem Ball ganz eng am Fuß und er kann dann auch etwas mit diesem Ball machen, was seine Gegenspieler zu spät oder gar nicht sehen. Und doch war, womit Mbappe uns staunen ließ, an diesem Abend gegen eine inferiore argentinische Defensive bloß das logische Ende einer technischen Überlegenheit in sträflich vernachlässigten, freien Räumen. Bei Cavani war es mehr.
In Cavani lebt der Instinkt für das Richtige, egal wie schwer dessen Umsetzung (gegen eine starke, aber überraschend fehleranfällige Abwehr) auch sein mochte. Zwei Tore schoss er. Irgendwie aus dem Nirgendwo, das sich dann doch wieder als der einzig denkbare Ort erwies. Spielentscheidend also - und damit befriedigend für jene, die im Fußball bloß ein Ergebnis erkennen, die einen Sieger bejubeln und mit den Verlierern - je nach Sympathie und jenseits jeder Analyse - bloß Mitleid (Messi) oder Hohn (Ronaldo) übrig haben (beides ist elend töricht). Zwei Tore aber fielen hier herausgespielt aus einer Ordnung, die Cavani selbst maßgeblich mitverantwortet. Er rackerte in der eigenen Hälfte. Er stürzte sich in Zweikämpfe an Orten, die Messi oder Ronaldo während eines Spiel nur dann sehen, wenn sie zu einem Eckball oder einem Freistoß in den eigene Strafraum zurückmüssen. Cavani erweist sich als die Schönheit des Spiels. In ihm leben Kraft und Köpfchen, Zweikampf und Zielschütze, Füßchen und Fleiß. Er flog dann wie selbstverständlich dem Ball zu, den er kurz zuvor erkämpft und dann Luis Suarez über das halbe Feld (45 Meter weit, sagt die Statistik) auf den Fuß gelegt hatte. 1:0. Er musste nicht nachdenken, damit später sein rechter Innenrist den Ball ins lange Eck schickte. 2:1 und Endstand und Aufstieg.
Cavani weiß, was er tut. Und er kann es tun, weil er nicht darauf wartet. Er ist bloß das Elftel einer Mannschaft, die tatsächlich eher füreinander als gegen jemand anderen spielt. Cavani ist Uruguay, das an diesem Abend gegen die Portugiesen (und sie waren keine sich ergebenden Zuschauer, sondern stark und teilweise drückend) die Schönheit des Spiels offenbarte.
Uruguay ließ vor Urzeiten in einer anderen (Fußball-)Welt mit dem Sieg über Brasilien im Finale der WM 1950 eine ganzes Stadion, ja ein ganzes Land verstummen, in Ohnmacht fallen. So weit ist es noch nicht. So weit könnte es aber im Halbfinale kommen. Jetzt wartet aber zunächst im Viertelfinale Frankreich - und so wie die Franzosen gegen Argentinien siegten, werden sie nicht lange warten. Schön kann's werden! Und ein Stoßgebet an wen auch immer, der das richten kann: Lass es nichts Schlimmes sein an Cavanis Wade, die so schmerzte, dass er ausgetauscht werden musste!