Vor dem "republic" in der Salzburger Innenstadt steht ein Bursch auf einer kleinen Verkehrsinsel. Diese Verkehrsinsel ist im Verhältnis zum Platz, der sie umgibt, etwa so klein wie Island im Verhältnis zu Argentinien. Vom Aussehen her könnte der Bursche ein Bruder des bärtigen isländischen Mittelfeldmannes Aron Gunnarsson sein. Es ist knapp nach 21 Uhr. Im "republic" wird die Sommerszene mit einer Performance zu Ende gehen. Vor dem republic beginnt Kroatien gegen Nigeria über einen Riesenfernseher zu flimmern. Und Island hat vor ein paar Stunden den Argentiniern ein 1:1 abgetrotzt, indem Island mit zwei herrlich ineinander greifenden, defensiven Viererketten keinen Platz ließ für die anderen, die Favoriten. Und erst recht blieb kein Platz für Lionel Messi, der sich mühte, er wuselte und probierte. Aber was er probierte, ging ins Leere. Und der eine Elfer, den er schoss, hielt Hannes Halldorsson, der jetzt mit seinen Mannschaftskollegen in Island noch mehr gefeiert wird, als es schon nach der Europameisterschaft vor zwei Jahren passierte.
"Huh-Huh" ist jetzt auch bei der WM angekommen und es ist auch angekommen auf dem Platz vor dem "republic", wo der Bursche auf der Verkehrsinsel die Arme ausbreitet und sie langsam im Takt über dem Kopf zusammenschlägt. Huh….Huh….Huh. So hallt es über den Platz. Und ein paar stehen auf, andere bleiben stehen und machen mit. Und zwei Damen, die nicht nach Fußball aussehen, sondern nach Sommerszenen-Abschlussabend, fragen: "Hat Island leicht gewonnen?" Das Huh-Huh ist überall angekommen. So geht das, wenn der Underdog den Großen trotzt. Dann machen alle mit. Das fällt allen auf. Und dann übersieht man eher und leicht, dass der Underdog weniger kreativ spielte als konsequent. Aber in der Konsequenz des Ergebnisses spielt das keine Rolle. Die WM hat ihre erste kleine Überraschung und Salzburg mitten in der Stadt einen überraschend lustigen Auftakt für einen warmen, sommerlichen Ausgeh-Abend. Da war die Fifa brutal weit weg.
Furchtbar nahe hingegen war die Fifa am frühen Abend in der 63. Minute der Partie von Peru gegen Dänemark. Da kam Paulo Guerrero ins Spiel, der Mann der Peru zur WM schoss, der bei Bayern spielte und beim HSV, der effizient spielt und deshalb jenseits des Feldes durch manchen Schwachsinn auffallen wollte (z.B. mit seinem sündteuren Porsche auf einem Behindertenparkplatz in Hamburg). Ein Dopingtest von Guerrero war im Oktober vergangenen Jahres positiv ausgefallen. Benzoylecgonin heißt die Substanz, die verboten in seinem Blut kreiste. Das ist ein Stoff, der ist im Kokain, aber auch in den Koka-Blättern, über die Peruaner gerne ihren Tee aufgießen. 14 Monate Sperre, urteilte der Internationale Sportgerichtshof. Ein Schweizer Gericht fand das unverhältnismäßig. Guerrero, seine Mitkicker, sein Verband, ja sogar die Regierung seines Landes fanden das auch. Noch dazu, wo es eine so fabelhafte Erklärung gab für den positiven Test. Da muss im Hotel, in dem die Mannschaft logierte, wer getrickst haben und wahrscheinlich passiert das mit Deckung der Wada, der internationalen Anti-Dopingagentur. Eine Verschwörung quasi gegen die in der Südamerika-Qualifikation so überraschend glänzenden Peruaner.
Eine schöne Geschichte, eine schöne südamerikanische Geschichte, wo Geschichten ja gerne in der literarischen Form des Magischen Realismus erzählt werden. Jedenfalls konnte Guerrero nach zähem Ringen für die WM nominiert werden. Sogar Vertreter der Gruppengegner Dänemark, Frankreich und Australien setzten sich für ihn ein. Einer für alle, die nicht genau sagen wollen, was sie nehmen, wenn sie etwas nehmen, das sie stärker macht. Aber das ist jetzt auch bloß eine Verschwörungstheorie. Für die Dänen hat es sich jedenfalls schon ausgezahlt, denn getroffen hat Perus reiner Held Guerrero eh nichts.
Im Radsport wird in so einem Fall - und Chris Froome, der beste unter den derzeitigen Radprofis ist so ein Fall - gezweifelt und kritisiert und gehöhnt. Die Welt weiß dann: Ohne gehts doch nicht. Und wenn einer erwischt wird, darf er trotzdem weiterfahren, bis nichts bleibt von den Vermutungen weil tausendseitige Rechtsgutachten die Sache zu einem medizinischen Spezialfall machen, gegen den jede Dopingliste nichts hilft. Im Fußball geht das anders. Im Fußball braucht man diesen Aufwand der Reinwaschung gar nicht. Im Fußball wird in so einem Fall magische Gerechtigkeit beschworen.
Die Konsequenz des internationalen Fußballverbandes Fifa in Fragen der Redlichkeit und des Rechts ist ja ohnehin legendär. Und außerdem: Es ist ja geradezu verwunderlich, dass diese Dopingprobe von Guerrero überhaupt öffentlich auftauchte. Sonst nämlich hat die Fifa ihre Hand im Spiel, wenn der Urin getestet wird. Und veröffentlicht wird nur, was der Fifa passt. Und positive Dopingproben passen halt so gar nicht ins Bild der schönen Fußballwelt. Die Fifa schützt ihre Kinderlein nämlich, auf dem Feld und sonst auch. Fair Play! So macht man das, wenn es um schwerwiegende Probleme geht in einer ehrenwerten Familie. In Süditalien gilt das - und auch im Fifa-Land.