Es ist schon unfassbar traurig, dass wir Österreicher nicht dabei sind. Denn ich bin überzeugt, dass wir für viele Mannschaften ein ganz ungemütlicher, unangenehmer Gegner hätten sein können. Jetzt sind meine sentimentalen Favoriten eben die Nationalteams aus der Schweiz und Deutschland. Die Zeit bei den Young Boys aus Bern, die Meisterfeier mit der unglaublichen Begeisterung der Menschen werde ich nie mehr vergessen. Da ich ab 2. Juli das Traineramt bei der Frankfurter Eintracht übernehme, werde ich auch die deutsche Elf ganz genau beobachten. Viele deutsche Teamkicker werden in Zukunft ja Gegner sein. Da ist es schon wichtig, wenn man sieht, wie diese Topspieler bei einer WM auftreten.
Abschreiben darf man die Deutschen nie. Joachim Löw wird es mit Sicherheit gelingen, alle Probleme wieder in den Griff zu bekommen. Es ist eines seiner Markenzeichen, eine Mannschaft auf den Punkt in Höchstform zu bringen. Ein guter Start kann dann für den Titelverteidiger viel erleichtern. Dann wäre auch die Stimmung im Umfeld gleich wieder euphorischer. In der Mannschaft stehen auch viele Spieler, die wissen, wie man Weltmeister wird. Und Löw wird es auch gelingen, um den Stamm Hummels, Kroos und Müller die aufstrebenden Youngsters richtig einzusetzen.
Die Deutschen können ihren Titel aber nur dann erfolgreich verteidigen, wenn alle Mittelfeldspieler bereit sind, weite Wege im Offensivspiel zu gehen, um torgefährlich zu werden. Einen Torjäger im Sturmzentrum, wie vor vier Jahren Miroslav Klose es war, hat Löw nämlich nicht zur Verfügung.
Vom Losglück war die Schweiz nicht verfolgt. Die Gruppe mit Brasilien, Serbien und Costa Rica ist schwer. Dennoch glaube ich an die Schweiz. Die Truppe ist eingespielt und technisch versiert. Platz zwei hinter Brasilien sollte möglich sein. Wie sich die Brasilianer zuletzt präsentiert haben, das beeindruckt jeden Trainer. Fehler bei Ballbesitz sind kaum zu sehen. Dazu finden Neymar und Co. immer eine Möglichkeit, dem frühen Attackieren des Gegners zu entkommen. Der Rekordweltmeister verfügt im Offensivspiel über ein fast unerschöpfliches Reservoir an Spielern. Fast jeder davon kann mit einem Geniestreich für Unruhe sorgen. Aber erst ab morgen wird man wirklich sehen, wer seine Hausaufgaben am besten gemacht hat. Dann muss auch Brasilien erst beweisen, dass man im Vorfeld zu Recht als Topfavorit gehandelt wurde.
Ich hoffe schon, dass sich in Russland der Offensivfußball durchsetzen wird. Und ich bin auch überzeugt, dass die Topstars eine große Rolle spielen und sie sich von Spiel zu Spiel noch steigern werden. Ihre individuelle Klasse entscheidet die engen Partien. Auch wenn ich vor allem mit den Teams aus der Schweiz und Deutschland mitfiebern werde, würde ich auch Lionel Messi den Titel gönnen. Der Kapitän der Argentinier gehört zu meinen Lieblingskickern. Sein leichtfüßiges Spiel muss einen faszinieren.
Adi Hütter holte mit Young Boys Bern 2018 den Titel in der Schweiz und trainiert in der neuen Saison Eintracht Frankfurt.