Die Stadt ist voll. Voller Fahrräder. Und es werden mehr. Kaum Platz zum Abstellen, wenn man etwa zu den Siemens-Festspielnächten möchte. Schon gar nicht für die Schönen, also Begehrten, unter den Rädern, für jene Räder, denen sogar im Vorbeigehen anzusehen ist, dass sie und ihre Besitzer zu einer Einheit werden, weil diese Räder eine Seele haben. Radfahren boomt. Also boomt auch der Markt mit den Rädern. Und die dunklen Mächte dieses Marktes, die Massenfertiger und Diskonterzeuger und die Industrie der Banalität regieren und sie alle verstellen die Radständer mit Einheitsware von der Stange. Diesen Trend zur Einheitsware, die sich bloß durch Unternehmenslogos oder die Raffinesse der Werbekampagnen unterschiedet, gibt es längst auch im Theater und im Pop, im Kino und auf der Opernbühne. Aber wie bei der Kunst, gibt es auch bei den Fahrrädern eine andere, eine aufregende, einer schönere Welt. Und diese Welt ist seit Donnerstag ärmer.
Dario Pegoretti, einer der berühmtesten Rahmenbauer der Radwelt, ist tot. Der Italiener wurde 62 Jahre alt. Er starb in seiner Werkstatt in Verona. Und wenn schon dieser Tod viel zu früh und überraschend kam, so sucht er zumindest den richtigen Platz. Pegorettis Werkstatt in einem ehemaligen Industriegebäude in Verona, früher baute er am Lago di Caldenazzo nahe Trient, war ein Zuhause: für Pegoretti sowieso, aber auch für Kunden und Interessierte. Ein Ort, an dem zu spüren war, wie Pegoretti an der Schönheit tüftelt. Und diese Werkstatt, die auch ein Ort stetiger Diskussionen über Räder, Gott und die Welt war, gleicht dem wohlbekannten gallischen Dorf, umgeben von übermächtigen, skupellosen und seelenlosen Verkäufern der Industriewelt.
Pegorettis Kunst lag nicht allein darin, Rahmen für Rennräder (nur aus Stahl oder Aluminium) zu bauen. Räder, die - oft nur durch den Kennerblick Pegorettis vermessen - auf den Millimeter genau ihren Fahrern angepasst waren. Viele dieser Räder trugen - in früheren Jahren gebaut von Pegoretti für große Firmen und bemalt mit anderen Markennamen und Sponsoren - berühmte Anführer des Peleton wie Eddie Merckx, Miguel Indurain, Greg LeMond, Steven Roche, Marco Pantani oder Mario Cippolini zu großen Siegen.
Pegorettis Kunst lag nicht nur darin, mit einer besonderen Schweißtechnik die einzelnen Stahlrohre sanft zu einer Einheit zu machen. Seine Kunst lag auch nicht darin, die Rahmen, die er seit Jahren unter eigenem Namen herstellt, individuell zu bemalen. "Vergangenheit", sagte Pegoretti bei einem Besuch in Verona trocken über die früheren Jahre im Dienst anderer Unternehmen. Der Glanz der Berühmtheit - weder jene der Profis, die zu ihm kamen, noch die eigene - spielte keine Rolle auf dem Weg zum idealen Rad. Dieses ideale Rad gibt es immer nur ein Mal: Für den, der es baut. Beim Nächsten geht das Maßnehmen, das Tüfteln, das akribische Schweißen von Neuem los.
"Fatto con le mani", stand auf Zetteln in der Werkstatt und steht auf der Homepage. Handgemacht. Das ist das Motto. Das ist das Gesetz. Und so offenbart sich Pegorettis Kunst eben gar nicht in Äußerlichkeiten. Aufzuspüren ist sie in einer entschlossenen Eigenheit, vielleicht auch in seinem Eigenbrötlertum, dass gerade in Zeiten der totalen Ökonomisierung aller Lebensbereiche und wegen einer bedingungslosen, blinden Hingabe zur Gewinnmaximierung, so wohl tut, weil sie sich so von jeder Masse abhebt. Pegorettis Räder widerstehen modischem Populismus, sie widersetzen sich der Banalität - und sind dabei nichts anderes als einfach schöne Räder. Wer mit solcher Gedankenwelt nichts anfangen konnte, wenn er bei Pegoretti vorstellig wurde, dem wurde durchaus gesagt, dass er sich sein Rad woanders bauen lassen muss. Das mag überheblich klingen. Es folgt aber bloß der Überzeugung eines Mannes, dessen handwerkliches Geschick und dessen künstlerische Unangepasstheit überragend sind. Und es folgt einer Haltung, die selten geworden ist: "Es geht nicht um Mengen", sagte Pegoretti. "Es geht um das Gefühl für jedes Einzelne."
Dario Pegoretti baute nur Räder. Dabei aber trotzte er der Welt, so wie echte Rock'n'Roller es tun, oder der Dude, der Jeffrey Lebowski. Nicht, indem er diese Welt ignorierte, sondern indem er die Welt aus tiefster Überzeugung schöner machte.