Kürzlich wurde mir eine Gin-Bar empfohlen. Ich trinke allerdings keinen Alkohol. Außer immer schon Gin. Der wirkte stets schneller als Spritzer oder Bier oder Wein. Darauf kam es auch an. Flott besoffen und dann Mädels bequatschen. Da war der Gin ein guter Freund. Zuletzt aber geriet selbst der Gin in Mode. Nicht als Besaufmittel, sondern als Feinkost. Es reicht nicht mehr, einfach Gin Tonic zu bestellen. Plötzlich wissen ein Haufen Leute Bescheid - jedenfalls reden sie so. Da ist dann der eine Gin "ein bisserl wacholdriger, mit einem leichten Beerengeschmack, oder?" Der andere ist "öliger und weich". Und wieder ein anderer "verzichtet auf alle kräutrigen Spielereien". Alles hab ich genau so gehört in der Bar, die mir empfohlen wurde. Dieser bittere Beigeschmack der Neunmalklugen trübte den Genuss aber nicht. Der Bar-Tipp war ein guter und ich habe ihn schon ein paar Mal weitergegeben. Wahrscheinlich war der Tipp so gut, weil ich mit dem Tippgeber lang befreundet bin. Der wollte nicht, dass ich bloß etwas kaufe, sondern dass ich mich wohlfühle.
Tipps bekommt man ja dauernd. Vor allem Amazon und Zalando und die anderen Onlinegeschäftemacher sind da überschwänglich beim Austeilen. Sie tippen uns zu. Und die Worldwide-Alleshaber haben auch ordentlich was im Angebot. Das muss alles raus. Die rechnen. Mit mir. Und für mich. Und ich verstehe auch, dass bisweilen das Resultat nicht so genau stimmen kann. So ein Algorithmus saugt ja nur emotionslos alles auf und spuckt es zurück. Da will auch keiner in erster Linie mein Wohlbefinden, sondern mein Geld. Und kürzlich hat Amazon auch wieder einmal geschrieben, dass man mir - ganz persönlich natürlich - ein Buch empfehle. Leider, Amazon, du tust immer so, als wüsstest du alles, als kenntest du mich. Aber du hast keine Ahnung. Ich hab das Buch nämlich schon gelesen! Ich habe es bei meinem Buchdealer ums Eck bestellt und gekauft. Der hatte es mir zuvor empfohlen - und ewig bevor dein Tipp daherkam. Ich habe reinlesen dürfen in sein Leseexem plar, noch bevor das Buch tatsächlich veröffentlicht wurde. Fühlte sich gut an, der Text und auch der Leineneinband. Ich fand, dass es zu mir passte, dieses Buch. Dann habe ich mit meinem Buchdealer noch eine Zigarette geraucht und über dies und das geredet. Ein paar Tage später holte ich das Buch ab. Da sind wir wieder ins Reden gekommen und dann sind wir sogar noch auf einen Kaffee gegangen und in die Gin-Bar. Ich frage dich, Amazon, warst du schon einmal mit jemandem auf einen Kaffee oder im Gin-Land?
Amazon betrinkt sich nicht mit mir
Kürzlich in der Gin-Bar wusste ich wieder, wer die wahren Freunde sind
