SN.AT / Kolumne / Fliehers Journal

Das Tanzen von unsichtbaren Handlungen

Es ist absolut unnötig, sich vorzustellen, dass die Welt durch Tanzen eingefangen werden könnte. Trotzdem wird's dauernd versucht.

Bernhard Flieher

Mitleid ist ein armseliges Gefühl. Aber manchmal bleibt sonst nichts. Zum Beispiel das Mitleid mit Tänzerinnen und Tänzern, die ihren Körper in den Dienst des Zeitgenössischen stellen. Es ist doch schon eine recht unlösbare Aufgabe, die Komplexität der Welt ohne Tanz zu erfassen. Aber es im Tanzen zu tun! Hart. Also vielleicht nicht das Tanzen als solches. Tanzen kann, wie jede Bewegung ja befreiend wirken, jedenfalls bei den Tanzenden. Bei den Zuschauern, wenn welche kommen, schaut das schon ganz anders aus. Damit man da nicht gleich von Beginn an durch ein unergründliches Bewegungskonzept stolpert, gibt es in der Kunst (und angeschlossenen Unterhaltungsvarianten) dankenswerterweise Programmvorschauen. Bei Büchern oder Musik steht dann oft, dass das noch nie so zu lesen oder zu hören war. Recht banal. Aber Lesen und Hören, das schafft man zur Not auch selbst. Beim Tanzen (oder international: Dance) müssen interessierte Zaungäste, hoffnungsfrohe Laien oder gelangweilte Abendzeittotschläger, froh sein über Beipacktexte. Da ist man froh um jede Anweisung. Denn die auf der Bühne wollen etwas von uns, und oft ist das mehr als unser Eintrittsgeld. Also ist es gut zu wissen, dass Ausgangspunkt eines Stücks "Sigmund Freuds Terminus ,Todestrieb‘ in Verbindung zu jungen Erwachsenen und Jugendlichen und in Opposition zum lebenserhaltenden ,Eros‘" sei. Logo! Tiefe, aber beinahe unsichtbare Handlungen des menschlichen Geistes lägen da im Widerstreit, steht da. Unsichtbar! Aber doch Handlung? Und auch noch Geist! Aufregend. Dem Choreografen, sein Name tut im Namen der Kunst nichts zur Sache, gehe es auch um das Verstehen der Essenz eines tief gehenden psychologischen und emotionalen Prozesses. Übrigens: "Youth" heißt das Stück. Die Sache mit Freud und Widerstreit und unsichtbar - das klingt spannender, als stünde da: Junge Menschen, ihre Leere und was ist damit? Weil das so ganz anders dasteht, kommt immer das Mitleid. Man will sich im Albtraum nicht vorstellen, das ein menschlicher Körper - sei er noch so biegsam - solches ertanzt. Vor allem das mit den "unsichtbaren Handlungen" - wissen die, die das tanzend darstellen werden, was sie in Erfüllung der Programmvorschau zu leisten haben? Oder ist es ihnen so egal, wie es den Machern solcher und zig anderer Kunst-Programmhefte in der Geilheit auf Worthülsen offensichtlich egal ist, ob wer kapiert, was sich tut - oder halt nicht.