Humpty Dumpty könnte helfen. Humpty Dumpty besteht darauf, dass Worte alles können und er mit Worten alles kann. 1 Aus einem Kinderreim hüpfte er in das Buch "Alice hinter den Spiegeln". Es gibt wenig ernsthaftere Philosophen als solche, die in Kinderbüchern heimliche Helden sind. Alice fragt ihn an einer Stelle: "Wie kannst du einem Wort so viele verschiedene Bedeutungen geben?" Und Humpty Dumpty antwortet: "Die Frage ist, wer die Macht hat, das ist alles." Und Lolinger fragt dieser Tage: "Was ist das eigentlich, diese Macht, und was hast du immer mit der Macht der Bilder? Das sind Bilder, aus." Da kriecht es wieder einmal daher, das eher Blöde am Kindhaben, diese Sicherheit, dass so vieles unerklärlich und ungewiss bleiben muss. Und dabei geht es gar nicht um Gott oder Frauen, Verkehrsregeln oder Ticketautomaten. Auch die Unerklärlichkeit von Neonazis oder der unendlichen Ausdehnung der Unendlichkeit des Weltalls spielt hier keine Rolle. Nein, es geht um das Bild des gestreckten Mittelfingers des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis. Wie und wann und gegen wen ist egal: Der Finger bohrt in der Wunde. Es wird das Bild vom Finger (und die Frage seiner Echtheit) mehr kommentiert als das Grundübel, nämlich Finanzdesaster, politisches Herumirren und lähmende Ungewissheit. "So ein Bild hat Macht", sage ich. Das bleibt hängen, und wie es sich tumorartig festsetzt im Hirn, wird vergessen und verschwiegen, worum es geht und keiner kennt sich aus. Bilder stehen fest. Worte sind dehnbar, überlassen der Fantasie einen Spielraum. Wie bei Humpty Dumpty, dem Wortdreher. Aber auch der Humpty Dumpty hat Schwächen. Er hat keine Ahnung vom Radfahren. Da macht der Fahrtwind ja jedes Wort vergeblich. Und noch weniger Ahnung hat Humpty Dumpty davon, dass hierzulande Autofahrer und Radfahrer die gleichen Straßen nutzen und es sogar unter der gleichen Annahme tun. Jeder sagt: Der Wichtigste bin ich. Daraus wird beim Radfahrer schnell eine Blockadehaltung, während der Autofahrer sich um nichts sorgen muss. Wenn's eng wird, ist der im Auto immer der Stärkere. Letzthin drängte wieder einmal einer in der Kurve beim Überholen gefährlich nahe heran. Nichts läge ferner, als Böswilligkeit zu unterstellen. Es ist schlimmer: Eher war die Aktion deppert, unsensibel ahnungs- und anteilslos. So in die Enge getrieben helfen keine Worte. Hört der ja nicht, weil der Motor heult. Also gestreckter Mittelfinger, weil der auch im Rückspiegel schön zu erkennen ist. Und als Lolinger vorwurfsvoll fragt, was das jetzt soll, ist das Unerklärliche zwar ein Verrat an Humpty Dumpty, aber nicht mehr so schlecht als Ausrede.
Mit Alice durch das Stinkefinger-Land
Radfahrer und der griechische Finanzminister haben nicht dieselben Gegner, aber die gleichen Mittel.

