Musik als böses Vergnügen: Schuldig der Hingabe an den Classic Rock

Eine neue Folge unseres Popcasts haben wir dieser Tage aufgenommen. Danach überkam mich das schlechte Gewissen. Das passte zum Thema. Im Popcast ging's um sogenannte Guilty Pleasures. Ich übersetze das frei mit "Peinliches Vergnügen". Quasi Musik, bei der man sich schämt, sie - ohne Zwang, ohne einer Folter ausgesetzt zu sein - freiwillig zu hören. Eine Zuneigung zu Sounds also, die man - um den Ruf der eigenen, ohnehin seltsam fragwürdigen Seriosität, der ernsthaften Kennerschaft zu wahren - gern verleugnet. Mein schlechtes Gewissen kam nicht wegen Songs oder Sounds. Es kam, weil ich im Popcast gar nicht so viel erzählt habe, wie ich hätte bekennen müssen. Nehmen wir das künstlerisch mieselsüchtige, aber massenhaft beliebte und doch auch sehr geil klingende Genre des Classic Rock. Ich habe zum Beispiel den Song "If You Knew Me Better" von Head East verschwiegen. Classic Rock von 1979, der mir Mitte der 1980er zum ersten Mal unterkam. Das war mitten in einer Phase, von der ich gern behaupten würde, ausschließlich Post-Punk und Grunge-Vorläufer gehört zu haben. Wie so oft stolperte ich damals in Musik. Einfach so. Sie begegnet mir schlendernd, manchmal taugt sie nur für die paar Augenblicke, in denen sie einem beim Vorbeigehen an einer Bar zufliegt, und sie vergeht mit dem Weitergehen. Head East blieben, nachdem sie aus den Boxen der Disco klangen, in der ich später als DJ auflegen sollte. Jedes Mal habe ich den Song gespielt. Das Publikum mochte ihn. Jetzt leg' ich mir die Platte - ja, ich besitze sogar das Head-East-Album "A Different Kind of Crazy" (eines der schrecklichsten Plattencover aller Zeiten) - auf. Ich sitze jetzt 40 Jahre später am Schreibtisch daheim, aber es schmeckt doch nach der Disco. Zum eindringlichen Gitarrenriff heißt es in dem Song: "Do you think that I'm the sweetest, most wonderful man that you ever met". Ich höre mich heute noch, wie ich den Satz damals als Teenager zu der angehimmelten Schulkollegin sage. Aber nur in meiner Fantasie. Das feige, jugendliche Schweigen kommt mir heute peinlicher vor als der Song. Der Song, der auf dem Album nach "If You Knew Me Better" kommt, heißt übrigens "Too Late".