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Noch einmal Schönheit. Eine Nachbesserung

Was ist also, wenn der Ball nicht in das Kreuzeck fliegt, sondern an das Kreuzeck - und so das schöne Spiel niemals aufhören muss?

Bernhard Flieher

Nachdem Lolinger, damals muss sie drei oder vier Jahre alt gewesen sein, ihren Bausteinturm zum vierten oder fünften Mal umgeschmissen hatte, überkam mich die Ungeduld. "Lass ihn doch stehen. Der Turm ist doch so schön, ganz wunderbar", sagte ich. Daraufhin schaute mich das Kind so an, wie man jemand anschaut, der einem als neueste Sensation verkaufen will, dass ein Ball rund sei. "Eh", sagte Lolinger schier mitleidig und schmiss den Turm wieder um und baute ihn wieder auf und schmiss ihn wieder um und so weiter. "Die kennt keine Zeit", sagte ich. Kinder lehren einem das, dieses Verlorengehen. Nur fällt es einem im "wirklichen" Leben halt viel zu selten ein. Und dann denkt man zu kurz - so wie ich es tat letzthin an dieser Stelle. Ein ehemaliger Kollege, ein strenger, aber stets mit Wohlwollen in seiner von Wissen angetriebenen Strenge, schrieb eine Karte wegen der Kolumne von vergangener Woche. Da ging's - die Kolumne quasi als Gebet, als letzten Gruß nutzend - um die Schönheit im Leben, die sich mit dem Ball am Fuß des kürzlich verstorbenen Fußballdenkers Johan Cruyff so leicht erklären ließ. Die Rede war also davon, dass die Schönheit nicht wegen des Gewinnens passiere, dass der angeblich messbare Erfolg nicht das einzige Ziel und schon gar keine Garantie auf ein erfülltes, voll ausgeschöpftes Leben darstellen könne. Und dann hab ich davon geschrieben, wie ich einen Ball im Kreuzeck versenke, wie sich eine Wunderwelt erfüllt, auch wenn diese Welt immer nur die elterliche Garageneinfahrt oder bloß eine Wiese hintern Nachbarhaus bleiben sollte und nie Camp Nou oder Wembley werden sollte. Und daraufhin schrieb der Kollege. Und schneidig genügte ihm eine Zeile, um mich noch einmal in die Garageneinfahrt zurückzuschicken: "Wahre Meister treffen an das Kreuzeck, damit bleibt der Ball im Spiel und reizt den Könner zur ewigen Wiederholung", stand auf der Karte. Welch eine feine Nachbesserung, eine filigrane Differenzierung bei der Suche nach einer Schönheit? Nicht im Abschluss zeigt sich das Schöne. Es liegt im Spiel selbst. Erfüllung also bringt die Entstehung der Schönheit und nicht ihr festhalten. Freilich kann man da jetzt jene auch gleich hören, die voll Mitleid stöhnen, weil sie sich so schön gewöhnt haben an eine Welt in der bloß Sieg und Erfolg und Gewinn gelten. Bequem eingerichtet hat man sich's dort, wo nur konsumiert wird und nicht, was Lolinger vor ein paar Jahren vormachte: Aufbauen, Umschmeißen in der Endlosschleife.