Im Prinzip geht es um nichts. So sagen es die Herzlosen. So formulieren die Pragmatiker, die in allem immer einen Zweck erkennen müssen, ohne dass sie dem Zweck dann einen Sinn geben könnten, der mehr bedeutet als einen Gewinn. Doch diese Leistungsdeppen und die Effizienzidioten sind die Totengräber der Romantik. Und mit dem romantischen Flanieren durch wilde Emotionen begraben die Berechnenden gleich auch die Schönheit. Aber wir haben - zumindest bis zum Viertelfinale gegen Frankreich - ja noch Island, genauer: dessen Fußballteam, das so herrlich überrascht bei der EURO. Und es fällt ehrlich nicht leicht, das zu schreiben: Ich war und bin immer für England. Aber am Ende, als die Engländer gegen Island in "einer der größten Sensationen des Fußballs", wie es heißt, verloren hatten, hatte ich eine neue Geliebte, eine Affäre, deren Dauer kurz sein wird, aber heftig. Wer in diesen Tagen kein Isländer sein möchte, kann sich einreihen in die endlose Schlage derer, die ihre Empathie verkaufen gegen jedes billige Erfolgsrezept. Nein, Island spielt nicht brillant. Sie sind keine Zauberer, in die man sich leicht verliebt. Keiner dieser Spieler funkelt im weltweiten Werbewirbel. Arbeiter sind sie, der Halldórsson, der Skúlason, der Sigurðsson oder der Árnason. Sie spielen, weil sie schuften. Ihnen fliegen die Herzen zu, weil sie erkennen lassen, dass sie das Glück ihrer Arbeit selbst kaum fassen und schon gar nicht erklären müssen. In diesen EURO-Tagen für Island zu sein heißt, für eine Tugend zu sein, die abhandenkommt - auf dem Fußballfeld und erst recht jenseits davon: die pure Hingabe ohne doppelten Boden der Absicherung. Niemand formuliert diese Entäußerung intensiver als der isländische TV-Kommentator Guðmundur Benediktsson. Er kreischt, zittert, dreht durch: "Ich traue meinen Augen nicht. Weckt mich nie aus diesem verrückten Traum auf!", schreit er. Armselig, wem da nicht die Gänsehaut aufgeht. "Wahnsinn. Super, wie der Typ spinnt", sagt Lolinger. Schön beschrieben, dieser Ausnahmezustand, der zwischen der Banalität des Alltags und dem Dauerschlussverkauf von Idealen und Träumen dann doch ein Funkeln ermöglicht. Im Prinzip geht es um nichts. Ein Spiel. Ein Ergebnis. Ein Sieger. Ein Verlierer. Und dann das nächste Match. Mit der isländischen Mannschaft lässt sich dieser Kreis durchbrechen. Die Schreie des Kommentators klingen wie ein Manifest der Freiheit gegen die übliche Ordnung, an die wir uns allzu leichtsinnig gewöhnt haben.
Weckt mich nie aus dem verrückten Island-Traum
Wer spüren will, was den Fußball so ergreifend und die Welt erträglich macht, sollte noch schnell einen Flug nach Island buchen.

